Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:Schwebezustand

Die Bamberger Symphoniker unter Andris Nelsons

Von Michael Stallknecht

Bamberg - Improvisationstalent ist gefragt, auch beim Mozartfest Würzburg, das in diesem schwierigen Jahr seinen 100. Geburtstag feiert. Weil die Bamberger Symphoniker mit Abständen nicht wie vorgesehen in den Würzburger Dom gepasst hätten, spielten sie das Konzert für Würzburg einfach an ihrer eigenen Heimstatt im Bamberger Joseph-Keilberth-Saal. Der klingt hinreichend brillant, so dass auch eine kleinere Besetzung mit zehn ersten Violinen die Wucht von Anton Bruckners Sechster Symphonie erzeugen kann. Dirigent Andris Nelsons hat es ohnehin nicht auf den großen Überwältigungsbogen anlegt, sondern arbeitet die innere Widerspenstigkeit Brucknerschen Komponierens heraus: Flexible Modulation der Tempi, die die Bausteine der Sätze in scharfen, von den Symphonikern hochpräzis umgesetzten Übergängen aufeinanderstoßen lässt. Nelsons interpunktiert die Musik, so dass selbst das Adagio wirkt, als müsse sich Bruckner in immer neuen Anläufen zur Innigkeit erst aufraffen - was dem schwelgerisch warmen Klang der Bamberger keineswegs Abbruch tut.

Vorangegangen war der Symphonie ein kurzes, aber poetisch dichtes Werk des Komponisten Jüri Reinvere, der mit "Maria Anna, wach, im Nebenzimmer" eine der beiden Auftragskomposition des diesjährigen Mozartfests lieferte. Der Titel bezieht sich auf Mozarts Schwester, das Nannerl, das mit dem jungen Wolfgang in ganz Europa konzertiert hatte und nun der Musik gleichsam nur noch aus dem Nebenzimmer lauscht. Ein musikalisches Genrebild hat Reinvere mit diesem "Notturno für großes Orchester" entworfen, einen (einzigen) harmonisch schillernden Schwebezustand: Das Orchester bewegt sich vorwiegend in leisen, langsam sich verschiebenden Liegeklängen, in die einzelne Instrumente scharfe Akzente setzen: mal einen Aufschwung der Oboe, mal ein Schnattern der Flöte, mal einen Paukenwirbel. Langer, intensiver Beifall.

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Quelle:
SZ vom 12.06.2021
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