Kurzkritik:Rockopa

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Lea Ralfs' "Innuendo" überzeugt im Schwere Reiter

Von Egbert Tholl, München

Lea Ralfs, Ko-Leiterin des Pathos-Theaters, sucht ihren Großvater. Sie war klein, als er starb, hat nur eine schemenhafte Erinnerung an ihn. Und viele Ideen, wie er gewesen sein könnte. Eine dieser Ideen war: Opa war Freddie Mercury. Den Schmerz, den die Liebe machen kann, kannten wohl beide, Opa Hans und der Sänger der Band Queen. Einmal unterhielt sich die kleine Lea mit ihrer Mutter. Im Radio lief Queen. Die Mutter sprach über Mercury, die Tochter über den Opa. Und dachte, sie sprächen über dieselbe Person. Er war ein großer Künstler, machte auf der Bühne große Oper, war aber privat eher schüchtern. Wer jetzt? Der Opa? Große Oper?

Lea Ralfs hat Jan Geiger viel erzählt, der schrieb es auf, erfand Szenen, Begegnungen. Und Ralfs brachte das dann auf die Bühne, im Schwere Reiter. Der Abend trägt den Titel des letzten Albums, das Queen zu Lebzeiten von Freddie Mercury herausbrachte: "Innuendo". Er ist eine krimiaufregende Spurensuche, aber auch der Versuch der Selbstvergewisserung der Enkelin. Alles ist wahr, vielleicht, eine großartige Geschichte. Die hier in Splittern und Ausschnitten erzählt wird, in einem assoziativen Tableau, in dessen Spalten und Risse die Erinnerungen und Gedanken jedes einzelnen Zuschauers eindringen können. Und man so anfängt, auch über den eigenen Opa, die eigenen Ideen, Wünsche nachzudenken. Eine wundervolle Aufführung.

Auf der Bühne ein weißes Klavier, an dem Michael Gumpinger sitzt und eine Welt erfindet, mal wuchtige Queen-Akkorde anschlägt, mal sirrendes Begehren erschafft. Oliver Mirwaldt spielt Gitarre, aber viel zarter als der Queen-Gitarrist Brian May. Zwei fahrbare Glaskästen stehen herum, in die manchmal Olaf Becker und Max Wagner hineinsteigen, an Mercury erinnernde Ikonen werden, ansonsten viel spielen, auch singen. "Show must go on" als schwebendes Requiem. Und vor allem singt Mara Widmann, herrlich. Die Queen-Opern rauschen durch den Kopf, und Widmann, poetische Verkörperung der suchenden Lea Ralfs, drängt und drängt in Wissbegier und leuchtender Neugierde. Ihre Lea will auch wissen, wer sie eigentlich ist.

Opa war im Krieg, davon gibt es ein Tagebuch. Schon damals wusste er: Er begehrt anders, unerlaubt. Theo. Theo fiel im Krieg. Opa ging begeistert in den Krieg und kam als Linker heraus, übernahm die Metzgerei, doch das Kaff wurde bald zu klein, in Hamburg ließ es sich leichter offen schwul leben. Mit Uwe, der immer diese verdammten Sahnetorten aß. Uwe hatte viel Freude an der Nachtseite schwulen Lebens, den Lüsten im dunklen Schatten bürgerlicher Enge. Opa bereitete sich derweil aufs Sterben vor. Zwei Jahre vor Freddie Mercury starb er an der gleichen Krankheit. Aids.

© SZ vom 04.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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