Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:Märchenstunde

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Ulrike Arnold inszeniert Melvilles "Bartleby" im Metropol

Von Egbert Tholl, München

Wunderbar, dieser Satz: "Ich möchte lieber nicht" - im Original "I would prefer not to". Den Satz schrieb 1853 Herman Melville, und in jüngster Zeit war er wiederholt auf dem Theater zu hören, in Zürich etwa oder in Freiburg. Nun kann man ihn in München hören, im Metropol-Theater, wo Ulrike Arnold unter Mitwirkung von Eli Wasserscheid Melvilles Erzählung "Bartleby, der Schreiber" inszeniert hat. Ohne die erwähnten Inszenierungen näher zu kennen: Man kann sich gut vorstellen, was die Theater derzeit daran interessiert. "Bartleby" ist die Geschichte einer Totalverweigerung. Ein radikaler Gegenentwurf zu allen kleinen Funktionstierchen, die hecheln und strampeln. Über die Bartlebys hätte Kracauer nie sein Angestelltenbuch schreiben können. Einziger Nachteil: Es geht ihm auch nicht gut, dem Bartleby, und am Ende stirbt er, einfach so, als letzte Konsequenz des Nichts.

Die Erzählung hat also anarchistisches Potenzial, hat aber auch einen leuchtenden Sprachwitz, sehr sophisticated. Der Icherzähler ist Anwalt mit einem Büro an der Wall Street, er ist mehr faul als ehrgeizig, seine Vermögensverwaltungsgeschäfte laufen gut genug, um ihm ein bequemes Leben zu sichern, er hat drei Angestellte, die in ihren Absonderlichkeiten liebevoll - und dann auf der Bühne mit lustvoller Komik - geschildert werden. Der eine hat Bluthochdruck und macht von Mittag an nur noch fahrigen Unsinn, der andere leidet an seiner Verdauung und kommt erst gegen Mittag zur Ruhe - ein wunderbarer Ausgleich. Diese beiden kopieren Akten, ein Laufbursche versorgt sie mit Ingwernüssen. Hinzu kommt Bartleby, der erst auch fleißig kopiert, darüberhinaus aber jede Tätigkeit ohne jede Begründung verweigert, bis er jede Arbeit einstellt, sich aber auch nicht aus dem Büro entfernen lässt, bis der Erzähler schließlich samt Büro umzieht und Bartleby als Inventar zurücklässt. Mit Butz Busse, Julia Loibl, Matthias Renger und Thomas Wenke erzählt Arnold diese Geschichte, mit einer ähnlichen, hoch präzisen Bühnen-Poesie, wie sie ins Metropol "Unter dem Milchwald" hineinzauberte. Wer die Erzählung nicht kennt, ist fasziniert, wer sie kennt, verblüfft, wie brav man die umsetzen kann, sehr, sehr liebevoll, das schon, aber doch wie eine naturalistische Märchenstunde, in der sich eine mehlig-semidepressive Stimmung ausbreitet. Keine Anarchie, aber ein kleines Fest der Literatur.

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Quelle:
SZ vom 13.04.2015
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