Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:Krieg und Quatsch

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"R+J" und "Das Tierreich" bei "Radikal Jung"

Von Egbert Tholl, München

Manchmal wundert man sich ja schon, was so alles einen Preis kriegt. Zum Beispiel das Stück "Das Tierreich" von Nolte Decar. Nolte Decar sind zwei, nämlich Michel Decar und Jakob Nolte; sie schreiben allein und manchmal eben zusammen, dann freuen sich manche Jurys, auch wenn es einem schleierhaft bleibt, worüber. "Das Tierreich" ist eine unfassbar belanglose Aneinanderreihung von Miniaturszenen, ach was, der Andeutung von Miniaturszenen, die vom Frühlingserwachen während der Sommerferien künden. Also ein bisschen Knutschen und ein bisschen Sex und ein bisschen Blöddaherreden, aufgemotzt mit einzusprechenden Szenenanweisungen und sprachlich weder Jugend noch Form. Aber doch kam dann einer, Gordon Kämmerer, der daraus am Schauspiel Leipzig etwas formte, eine an sich flotte, bisschen grelle Show, der zwar auch nach 30 von 100 Minuten die Luft ausgeht, einfach weil das Stück gar so wenig taugt, die aber als Maskenrevue mit Märklin-Ambiente partiell erträglich ist.

So sehr sich die Leipziger Darsteller hineinhauen in den aufgekratzten Quatsch, so sehr wird ihr Treiben von dem, was danach bei "Radikal jung" im Volkstheater folgt, bis zum völligen Verschwinden weggewischt. "R+J" ist, angelehnt an Shakespeares "Romeo und Julia", eine Liebesgeschichte auf dem Maidan, im Krieg, zwischen einem Paar aus dem Westen und dem Osten der Ukraine: da Proto-Russland, dort EU-Sehnsucht. Der Ukrainer Sashko Brama macht daraus eine Videoinstallation, vor dieser explodiert ein Nu-Metal-Konzert, also Hardcore ohne Blues, aber zwischen dem Lärm gibt es unfassbar viel Kitsch. Der wie auch das Leidenspathos wären unerträglich, spürte man nicht in jedem Moment die Verzweiflung. Dieser Abend ist ein Schrei, von einer Kreatur, hineingeworfen in eine Welt. O Geschichte! R+J tragen noch das Grauen der Vergangenheit, das ihrer Großeltern, mit sich herum, hier Nazi-Kollaborateure, dort KGB-Terror, nichts wird besser, Tod. Die Liebe hülfe, kann es aber nicht.

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Quelle:
SZ vom 21.04.2015
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