Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:Kein Kompromis

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Die Staatsoper lädt in ihre Werkstätten ein

Von Egbert tholl, München

Da hängt ein Tischbein-Goethe, also Dichter in der Campagna. Dort ein Pop-Art-Gemälde. An der Wand lehnen viele Schrubber, die braucht man wohl zum Malen, wenn man in größeren Dimensionen denkt. Und die Dimensionen sind groß: Zum Mittwochstreifzug lädt die Bayerische Staatsoper in ihre Werkstätten in Poing ein. Ein fabelhafter Blick nicht hinter, sondern in die Kulissen, die hier in riesigen Hallen gebaut, gemalt, gebastelt werden. Was halt so passiert weit hinter der Hochglanzfassade des Nationaltheaters. Und man versteht, was für ein irrer logistischer Aufwand es sein muss, die Ausstattung hin und her zu fahren zwischen Poing und der Oper.

Wie gewohnt wird man vom ungeheuer fürsorglichen Personal in die hinterste der Hallen und an seinen Platz geleitet. Versprengte 50 Menschen. Dann guckt man erst einmal auf zwei Gemälde, die von Watteau stammen könnten, und auf ein Hieronymus-Bosch-Triptychon. Vielleicht nicht unbedingt Bilder, die man mit Schubert assoziieren würde, aber sehr schön.

Denn Schubert gibt es hier, acht Mitglieder des Staatsorchesters spielen dessen Oktett für Streichquintett und drei Bläser. Acht Herren, die neugierig die ziemlich beeindruckende Akustik der Werkshalle erkunden, die erstaunlich transparent, aber doch auch ein bisschen verwaschen ist. Recht akademisch gehen sie zunächst ans Werk, sehr akkurat, bei aller Schönheit des Gesangs der Klarinette von Markus Schön. Doch dann erklärt sich der Geiger David Schultheiß zum Anführer einer Verzauberung, die den himmlischen Klang von Schuberts Streichquintett nun im Oktett-Zusammenhang aufleuchten lässt, wundersam zart. Danach bricht reine Spielfreude durch, in den Variationen des Andante, vor allem beim herrlich eleganten Trio.

Ein Konzert ohne Kompromisse in der Kunst, das sich mal Kunstminister Sibler anhören sollte, dann wüsste er ums Bemühen der Künstler. Wobei: Besser der Herr Lehrer nimmt niemanden einen Platz weg, der danach giert.

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Quelle:
SZ vom 19.06.2020
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