Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:In Pracht erwacht

Münchner Philharmoniker mit Kian Soltani

Von Klaus P. Richter

Die pandemische Leere in der Philharmonie war bizarr, die Abstandsregie surreal, die Akustik ungewohnt. Aber wie wunderbar, dass die Münchner Philharmoniker wieder aus dem digitalen Faksimile zum echten Live-Konzert erwachen. Und wie spannend das Programm und die Künstler. Der iranischstämmige, aber in Österreich geborene Cellist Kian Soltani servierte gleich zu Beginn das Glanzstück des Abends: das Konzert für Violoncello und Blasorchester von Friedrich Gulda. Bekanntlich war der geniale Pianist auch ein bemühter Komponist.

Was ihm aber mit diesem Konzert gelang ist mehr als in den vielen seiner launischen bis grotesken Jazz-Crossovers. Denn in den fünf durchaus parodistischen Sätzen von "Idylle" bis "Menuett" und "Finale alla Marcia" demonstriert er nicht nur das Schräge als das bessere Erhabene, sondern verschafft dem virtuosen Cello grandiose Auftritte. Der 28jährige Soltani brillierte auf seinem Stradivari-Cello mit brennender Leidenschaft und praller Klangsinnlichkeit, atemberaubend virtuos in der solistischen "Cadenza" und der extravaganten "persischen" Zugabe.

Der polnische Dirigent, Krystof Urbański, Musikdirektor des Indianapolis Symphony Orchestra und - wie Kian Soltani - Träger des Leonard Bernstein Awards, hielt sich bei der kleinen Combo von sechzehn wunderbaren Bläser-Philharmonikern vornehm zurück. Dann aber zeigte er bei Ludwig van Beethovens erster Sinfonie wie beschwingt-locker man auch mit diesem Klassiker umgehen kann, ohne seine prägnanten Konturen einzuebnen. Damit rückte er ihn aus lyrischer C-Dur-Heiterkeit in Joseph-Haydn-Nähe an den profilierten Passagen, besonders im Scherzo-artigen "Menuetto", mit artikulierter Verve in die Dignität des großen Formats. Vor allem dort blühten die Philharmoniker zu gewohnter Pracht auf, wenn auch - vielleicht ein Entwöhnungssymptom? - mit etwas sprödem Klang im Forte. Langer, beglückter Wiedersehens-Applaus der 500 Auserwählten.

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Quelle:
SZ vom 21.09.2020
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