Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:Im Hoagartn der Hoffnung

Wie das Festival "Adevantgarde" der Pandemie-Bürokratie trotzt

Von Egbert Tholl

Die Ankündigung, die "Adevantgarde", das Festival der hiesigen Komponisten und Komponistinnen, könne stattfinden und dies vor Publikum, stimmte froh und munter. Doch dann meldete sich das Kleingedruckte der Bürokratie zu Wort. Ja, vor Publikum ist möglich, aber nicht überall. Im Gasteig schon, im Einstein nicht. Denn dies gilt - hahaha! - als Mehrzweckort, auch ein Konzert macht es nicht zum Konzertsaal. Deshalb dürfen nur ein paar Hanseln rein, die brauchen einen aktuellen Test und müssen vorher diverse Anmeldezettel ausfüllen, die nun wie ein alberner Corona-Anachronismus wirken. Kulturreferat, hilf! Beende den Schwachsinn!

So war der dortige "Neue Hoagartn" längst nicht das, als was er 2019 ins Leben gerufen wurde, ein geselliges Beisammensein wie im Wirtshaus; manchmal stand einer auf und machte Musik, eine andere las etwas vor. Man saß und trank, wovon jetzt nur das Sitzen geblieben ist. Zum Auftakt des Festivals wurde man also Zeuge der Herstellung dessen, was man dann über die Homepage der "Adevantgarde" angucken kann.

Gleichwohl sind Musiker zwar Bürokratietrottel, aber stur, so blieb der Kern des "Hoagartn" erhalten: ein ästhetisch barrierefreies Panoptikum kleiner, sehr unterschiedlicher Stücke, das der Pianist Andreas Skouras mit drei Soli beendet. Die sind in sich völlig heterogen: Alexander Strauch baut Kaskaden aus der Sensation einzelner Töne, Jörg Widmann lässt Akkorde im Inneren des Flügels erkunden, Peter Wittrich entwirft einen großen Klavierabend in wenigen Minuten, ohne mit Witz Tschaikowskys berühmtes Klavierkonzert zu vergessen. Brillant. Toll auch der Pas de deux von Caio de Azevedo, der die Geigerin Ronja Sophie Putz am Cello begleitet, eher platzheischend der Monolog für Oboe und Klavier von Narine Khachatryan, blöd die Sarabande für Geige solo von Jakob Stillmark, garniert mit banaler Gebrauchslyrik. Martina Veh liest im Video und am Meer Pasolini gegen die "selbstgewählte Uniformität". Dagegen spielt die "Adevantgarde" an. Wenn es sein muss, mit der Simulation von Fröschen in der Natur (The Hercules and Leo Case).

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Quelle:
SZ vom 05.06.2021
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