Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:Ganz allein

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Tobias Siebert gibt "And the Golden Choir"

Von Martin Pfnür, München

Es waren gerade mal ein paar Stücke gespielt, da musste sich Tobias Siebert schon ärgern. "Ach, diese Band. Macht schon wieder komische Sachen." Dabei hatte diese sich gar keine Schnitzer erlaubt. Es knisterte und knackte nur etwas zu laut aus den Boxen.

Tobias Sieberts Band, das sollte man hier wohl erwähnen, besteht aus einer Sammlung Dubplates, auf die sich der Berliner Produzent und Musiker verschiedene Tonspuren seines Debüts "Another Half Life" hat schneiden lassen. Ordentlich aufgefächert lagen sie auf einem Tischchen, daneben der Plattenspieler, eine Nachttischlampe, ein Glas Rotwein, aus dem Siebert sich immer dann einen Schluck genehmigte, wenn er eine neue Platte auflegte und dazu selbst zu einem Instrument griff.

Falls dieses Live-Konzept nun etwas bequem wirken sollte, so sei versichert: Im Falle von Sieberts Soloprojekt "And the Golden Choir" geht es völlig in Ordnung. Denn Arbeit hatte Siebert mit seinem Debüt ja schon weiß Gott gut genug: Fünf Jahre feilte er an "Another Half Life". Fünf Jahre, in denen er es sich zur Regel machte, jede Tonspur dieses opulenten Albums selbst einzuspielen. Schicht für Schicht. Mit Instrumenten wie beispielsweise der Autoharp, der Thüringer Waldzither, die eigentlich eine Laute ist, oder dem Santur, quasi der orientalischen Variante des Hackbretts. Die Sache mit den Platten versteht Siebert entsprechend als konsequente Zuspitzung dieses Konzepts.

Und das funktionierte an diesem Abend ganz wunderbar: mal an der akustischen Gitarre, mal am Klavier, mal am Harmonium oder den besagten Instrumenten. So hüllte der verhuschte Mann im ausgebeulten Pulli sein Publikum in der bestuhlten Milla alsbald in einen wohligen Klang-Kokon ein. Er tat das mit einer Musik, die besonders im Kontrast zwischen dem donnernden Playback-Schlagzeug einerseits sowie der lieblichen Melodieführung und Sieberts zarter Stimme andererseits wuchtig und fragil, kraftvoll und süß zugleich von der Bühne schallte. Rotweinschluck, Platte auflegen, Instrumentenwechsel. Große Musik, großer Applaus. So ging das immer weiter. Bis Siebert schließlich ein "Gute Nacht" hauchte, die Nadel absetzte und das Nachttischlämpchen ausschaltete. Dann war er weg.

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Quelle:
SZ vom 24.03.2015
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