Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:Freigang

Michael Mittermeier im Innenhof des Deutschen Museums

Von Oliver Hochkeppel

Puh, wenn's schon bei einem üblicherweise vor Frohsinn berstenden Comedian wie Michael Mittermeier immer wieder geradezu traurig wird, dann müssen wir uns wohl noch auf einiges einstellen. Mit einer Mischung aus einstudiertem Lachen und echter Freude kam er auf die Bühne im Innenhof des Deutschen Museums: "Ist das schön, nach über drei Monaten mal wieder vor Leuten zu spielen. Ich hab' vor Autos gespielt, leck mich am Arsch! Und zuhause vor der Katze, weil ich der Familie so auf den Sack gegangen bin, und meine Frau gesagt hat: Michi, noch ein Witz, und du bist tot."

Der Entzug war ihm auf mehreren Ebenen anzumerken. Einmal wirkte selbst der in Jahrzehnten gestählte Bühnen-Profi Mittermeier - wie fast alle nach so langer Pause - unsicherer, weniger wortgewandt, ja verwundbarer als gewohnt. Vor allem aber hat ihm die Pandemie komplett das Programm zerbröselt. Der Schlüsselsatz dazu kam mehrfach: "Ich erfind' ja nix, ich beobachte nur." Tatsächlich war die Methode des Comedians Mittermeier immer die Parodie des aktuellen, auf der Straße wie in den Medien beobachteten zwischenmenschlichen Geschehens. Und da bleibt im Augenblick fast nur Corona übrig.

Also hangelte sich Mittermeier - die alle Viertelstunde schlagende Turmuhr und ein lauter Krähenschwarm waren dabei Widersacher wie Verbündete - von Krisensymptom zu Krisensymptom. Vom Ellbogengruß ("den hat kein Philanthrop erfunden") bis zur Corona-App ("Tinder für Kranke"), vom ersten Omen der Verschiebung des Jubiläums-Bond-Films "Keine Zeit zum Sterben" ("ausgerechnet James Bond scheißt ein - als nächstes hat er Katzenhaarallergie") bis zu den Lockdown-Phänomenen wie "Habt ihr auch so gestunken?" oder "Habt Ihr auch so viel gesoffen?" So lustig das im Detail war, eine gewisse Verzweiflung ließ sich nicht überspielen. Das bis zum Februar Normale, das ist vorerst dahin. Und so hat ein Comedian wie Michael Mittermeier in gewisser Weise weiterhin Berufsverbot, selbst wenn er jetzt wieder ein bisschen auftreten darf. Traurig.

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Quelle:
SZ vom 21.07.2020
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