Kurzkritik:Das Emoji der Sänger

Adevantgarde: der BR-Chor unter Rupert Huber

Von Sarah Maderer

Als ob er das rechte Ohr spitze, um ja keinen Ton der vier Uraufführungen dieser Konzertaufzeichnung zu verpassen, erhebt sich der Farnesische Herkules zwischen den Sängern und Sängerinnen des Chors des Bayerischen Rundfunks. Die Sammlung des Museums für Abgüsse Klassischer Bildwerke, im Vollkreis um den Chor arrangiert gleich einer grenzenlosen Arenabühne, erweist sich als Idealschauplatz für die vorletzte Aufführung "Über die Grenzen" des 16. Adevantgarde-Festivals.

In Rupert Hubers "Rein ins Draußen - ein Reiselied" für Damenstimmen und Semantron bereisen die Sängerinnen verschiedene Bewusstseinszustände. Unter Leitung des Komponisten selbst stimmt an- und abschwellendes Summen wie ein meditatives "Om" auf die Reise ein, ehe sich ein von rhythmischem Glockenläuten, pulsierendem Semantron-Klopfen und donnernden Trommelschlägen getriebenes Stimmengewirr in kultgleiches Getöse erbricht - ein Aufblitzen von Hubers Begeisterung für nepalesische Schamanen-Gesänge. Sandeep Bhagwatis "Let Them Not Say. A Ritual" lässt das achtstimmige Gesangsensemble seine dynamischen und artikulatorischen Grenzen ausloten, wobei das Stückende nicht nur den Hörsinn bedient: Im abgedunkelten Raum entzünden die Singenden Streichhölzer und mit deren Erlöschen versiegen auch ihre Stimmen.

In Robert Morans "Border Crossings" verschmelzen 15 Frauen- und Männerstimmen zu einer schwerelosen Einheit, die wie aus einer Lunge zu atmen scheint. Hubers "U+1F637" (die Codierung für das Emoji mit Mundschutz) spielt mit den Möglichkeiten eines Chores in Coronazeiten. Dem Mundschutz trotzend verklingen die kraftvollen Staccato-Töne der Sänger - verstärkt vom wabernden Hall des Museums - nur langsam. Ein so präzise und spannungsvoll umgesetztes Chorprojekt unter derartigen akustischen wie organisatorischen Bedingungen gleicht einer 13. Herkulesaufgabe.

BR-Chor unter Rupert Huber, Streampremiere 21.6. 20 Uhr, www.adevantgarde.de/streams-medien; Mitschnitt: 9.8.,20.05 Uhr in BR-Klassik

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