Süddeutsche Zeitung

Kurzkritik:Beiläufig virtuos

Die Münchner Philharmoniker mit Janine Jansen

Von Paul Schäufele, München

Sie hat Flüstern zur Kunstform erhoben. Denn wenn Janine Jansen Geige spielt, treffen artistische Perfektion und Einfühlsamkeit auf einen verführerisch flexiblen Ton, der nicht auftrumpfen will oder strahlen - das Interessante wird sotto voce gesagt. Doch bevor Jansens beiläufige Virtuosität bestaunt werden kann, führen die Münchner Philharmoniker unter Valery Gergiev mit spielerischer Rokoko-Eleganz in den Abend ein, der die Saisoneröffnung des Orchesters markiert.

Nur an wenigen Stellen hätte Prokofjews "Symphonie classique", der verschmitzten Verbeugung vor Großpapa Haydn, etwas mehr Prägnanz gut getan. Die aphoristische Schärfe verliert in Gergievs konsequenter Klangaufweichung; Schubert dagegen profitiert davon. In seiner "Unvollendeten" ergibt sich eine panoramaartige Übersicht, wenn Gergiev in fließendem Tempo mit Flatterhand die Streicherakkorde glatt streichelt. Die epochemachende thematische Einheit des Satzes korrespondiert mit Gergiev Neigung, zu homogenisieren, zusammenzufassen und Episoden ineinanderzuschieben und zu überblenden, anstatt sie gegenüberzustellen. Das ist vielleicht ein wenig fad, doch im langsamen Satz auch von nostalgischer Klangschönheit.

Dieselbe Grundfarbe unterstützt Janine Jansens ätherisches Spiel in Felix Mendelssohn Bartholdys e-Moll-Violinkonzert. Ihre Interpretation ist nicht einfach wiegender Gesang; Jansen abstrahiert, sie zeigt, wie gesungen werden kann. Dieser fein sirrende Ton wird nur selten aufgehoben, so bei den wild gezupften Pizzicati im rasenden Finale oder den bewusst schneidend intonierten Spitzennoten. Jansens Zugang ist kammermusikalisch-kollegial, und selbst in den grausamen Doppeloktaven des Kopfsatzes oder den waghalsigen Kurven des Allegro-Finales nimmt man kaum wahr, mit welchem Einsatz hier gespielt wird: Jansen hat die Gabe, sich durchsichtig zu machen.

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Quelle:
SZ vom 14.09.2020
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