Kurzkritik:Alltag statt Kur

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Musikstudierende spielen an ungewöhnlichen Orten

Von Rita Argauer, München

Eigentlich würden diese jungen Musiker den Sommer in den bayerischen Alpen verbringen. Musikworkshops und Sommerfestivals außerhalb der Saison werden gerne an solch alten Kurorten angesetzt. Da ist das Publikum touristisch eh vor Ort. Aber in diesem Jahr natürlich nicht, und die "International Summer School" der Musikhochschule München findet statt in Bad Reichenhall in München statt. Diese Verschiebung zurück ins Alltägliche hat aber einen sehr reizvollen Nebeneffekt: Die Studierenden spielen nun nicht für Kurgäste und Alpentouristen, sondern in Zusammenarbeit mit dem Tonkünstlerverband und dem Kulturraum München wurde ein anderes Publikum gefunden: bei der Ausgabestelle der Münchner Tafel an der Großmarkthalle, im Alten- und Servicezentrum, bei den Barmherzigen Brüdern oder im Marienstift.

Den Anfang machte am Sonntag ein Auftritt im NS-Doku-Zentrum. Unspektakulär im Foyer gegenüber den Kassen und zentral vor dem Desinfektionsmittelspender sitzen fünf Cellisten. Doch Max Bruchs "Kol Nidrei" in einer Version für Cello-Quartett und Solisten an diesen Ort zu bringen, ist natürlich ein sehr schöner Zug. Breit aufgefächert beginnt das Quartett, Hayk Sukiashyan legt die Solostimme darauf, mag sich aber nicht so richtig abheben. Dennoch klingt das moderner als in der Orchestervariante.

Es folgt Ernest Blochs 1. Violinsonate. Mohamed Hiber spielt dieses splitternde, spitze Stück sehr versunken. Doch die Verlorenheit der immer wieder zu neuen Phrasen ansetzenden Musik, die sich gleichzeitig selbst zerstückelt, trifft er damit gut. Man hört die Geräusche der Installationen der Ausstellung, natürlich fehlt hier die engfokussierte Konzentration des Konzertsaals. Gleichzeitig aber beginnt die Musik an einem solchen Ort viel mehr zu leben als im hermetisch-antiquierten Setting diverser Kurkonzerthäuser. Am Ende gibt es überraschend ganz klar aufgelöste Schlussakkorde. Ein tolles Stück, eine toller Kontext.

© SZ vom 25.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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