Kurzfilm:Eine wilde Freude

Die Künstlerin Judith Egger hat zusammen mit ihrem Vater, dem Meteorologie-Professor Joseph Egger, wunderbare Kurzfilme über den Wind gedreht, die man jetzt im Internet ansehen kann

Von Jutta Czeguhn

Winde sind mehr als nur Phänomene der Atmosphäre. Sind sie nicht auch eigenwillige, wundersame Wesensformen? In Michael Ondaatjes Buch "Der englische Patient" wird von einem Wirbelwind im südlichen Marokko berichtet, dem Aajej, gegen den sich die Einheimischen mit Messern erwehren. Und da ist der Beshabar, ein schwarzer, trockener Wind aus dem nördlichen Kaukasus. Der Romanheld Graf Almásy erzählt seiner staunenden Geliebten zudem vom Harmattan, einem heftigen Wind, der sich wie ein sterbender Vogel ins raue Wasser des Atlantiks stürzt, um dort zu ertrinken..

Transmission Wind, Video von Judith Egger

Nicht zu bändigen: In einem eigenwilligen Windkostüm stemmt sich Judith Egger auf dem Jochberg dem Föhnsturm entgegen.

(Foto: Judith Egger/oh)

Dem faszinierenden Element Wind ausgeliefert hat sich im vergangenen Jahr auch die Münchner Künstlerin Judith Egger. Mit zwei der Videoarbeiten, die dabei entstanden, ist sie in der Gedok-Gruppenausstellung "Wind" im Buchheim Museum in Bernried vertreten, die Ende Oktober eröffnet wurde, wegen des Lockdowns nun allerdings bis auf Weiteres nicht zugänglich ist. Die Schau soll dort offiziell bis 21. Februar laufen. Weil jedoch nicht vorhersehbar ist, wann sie wieder offen sein wird, hat sich Judith Egger dazu entschlossen, ihre beiden Kunstfilme nun bei Vimeo ins Netz zu stellen.

Alphabet der Winde, Video von Judith Egger (Still)

Mit einer Zeichnung erklärt in einem zweiten Video Judith Eggers Vater Joseph Egger die Gesetzmäßigkeiten des Windes. Doch das schöne Bild mit den tanzenden Krähen täuscht, so einfach ist die Sache nicht. Meteorologie ist höhere Mathematik.

(Foto: Judith Egger/oh)

"Transmission Wind" zeigt Egger, wie sie in einem eigenwilligen Windhosenkostüm im Föhnsturm auf dem Jochberg steht und fast abhebt (https://kurzelinks.de/x8p1). Kamerafrau Sabine Mooshuber steht etwas unterhalb und beobachtet Egger dabei, wie sie der Wind anfaucht, wie er Anlauf nimmt, um sie von den Beinen zu fegen, was ihm einmal auch gelingt. Der Sturm rasselt, säuselt, um dann scheinbar besänftigt, aus der anderen Richtung stärker denn je heran zu fegen. Ein Kraftakt für Judith Egger, die nach dem Dreh, so verrät sie, die Osteopathin ihres Vertrauens aufsuchen musste, weil Arm und Schulter bei dieser Aktion völlig überstrapaziert worden seien. Und die es doch mit "einer wilden Freude" erfüllte, "auf einem Berg mitten in so einem Sturm zu stehen und die Kraft des Windes in den Hosen zu spüren".

Das zweite Video entstand in Zusammenarbeit mit ihrem Vater Joseph Egger, einem emeritierten Meteorologie-Professor, der das "Alphabet der Winde" (https://kurzelinks.de/5zia) nicht nur erklärt, sondern auch zeichnet. Die Kamera hält von oben auf ein Papier, Aquarellkasten, Tuschefässchen und Stifte liegen bereit. Dann fährt eine gebräunte Hand ins Bild und beginnt, mit viel Wasser und wenig Farbe den an sich Unsichtbaren darzustellen. In die bauschigen Kringel setzt der Gräfelfinger Professor, von dem man nur die Stimme hört, nun Krähen, die sich "mit großem Vergnügen" vom Wind tragen lassen. Vergnüglich auch die Art, wie uns der Meteorologe in die wissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten des Windes einweihen möchte. Neben jede Krähe setzt Joseph Egger nun eine Gleichung, in der sich Buchstaben, Rechenzeichen und Klammern aneinanderballen. Wahre mathematische Ungetüme sind das, mit denen laut Professor Faktoren wie Dichte, Druck, Temperatur oder Geschwindigkeit des Windes errechnet werden. Folgen werden ihm, dem Experten, dabei die wenigsten können. Und irgendwie bleibt da der schöne Verdacht, dass sich der Wind eben doch nicht einfangen lässt.

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