Süddeutsche Zeitung

YPG-Fahne:Wegen der Kurdenflagge vor Gericht

Lesezeit: 3 min

Von Martin Bernstein

"Ich glaube, grün-gelb-rot", sagt ein Staatsschutzbeamter, als er am Mittwoch am Amtsgericht gefragt wird, wie denn diese YPG-Fahne aussieht, um die es in dem Prozess gegen einen Kurden geht. Die Schriftzeichen YPG oder YPJ auf der Fahne seien ausschlaggebend, weiß ein anderer Polizist. "Ich denke, es ist ein grüner Rand dabei", glaubt sich ein dritter Beamter zu erinnern. Das ist die Basis für einen "Anfangsverdacht" und für Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft München I und auch die Grundlage für drei Prozesse um das möglicherweise strafbare Zeigen dieser Fahne in dieser Woche vorm Münchner Amtsgericht.

Er habe zur Sicherheit immer seine "Unterlagen" dabei, sagt ein Staatsschützer. Gemeint ist eine sechsseitige Übersicht der Flaggen und Symbole, die die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK und ihre Unterorganisationen benutzen - sowie weitere Vereinigungen, die das Bundesinnenministerium als "Ableger" der PKK bezeichnet. Die Münchner Staatsanwaltschaft sagt in allen drei Fällen dieser Woche: Die PKK habe diese Fahnen "usurpiert". Wer sie dennoch zeige, mache sich also strafbar.

In diese Kategorie fallen die gelbe Fahne mit dem roten Stern der nordsyrischen Kurdenmiliz YPG und die ähnliche, aber grüne Flagge der Fraueneinheiten YPJ. Beide Organisationen kämpfen seit Jahren in Nordsyrien erfolgreich gegen die Terrororganisation IS ("humanitäre Kraftakte" und "unstrittig positive Leistungen", wie ein Vertreter des Bundesinnenministeriums am Dienstag als Zeuge sagt), werden ihrerseits aber von der türkischen Armee verfolgt und bombardiert.

Ein deutscher, pro-kurdischer Aktivist und Journalist hat eine Fahne am 17. Februar während einer Demonstration gegen die Sicherheitskonferenz gezeigt. Ein kurdischstämmiger Flüchtling aus der Türkei hat sechs Tage später vor dem türkischen Generalkonsulat in München ein Plakat hochgehalten, auf dem am Bildrand, etwa fünf mal fünf Zentimeter groß, "ein gelbes Viereck mit rotem Stern" zu sehen war, wie sich ein Staatsschützer erinnert. Und ein Münchner Schauspieler und Regisseur hat einen Facebook-Post geteilt, auf dem ein Münchner über eine polizeiliche Durchsuchungsaktion wegen einer YPG-Fahne berichtete und dazu ein Foto aus Syrien zeigte, auf dem die Flagge wehte.

Alle drei standen in dieser Woche vor dem Amtsgericht. Nach Auskunft der Münchner Staatsanwaltschaft wurden seit Februar in etwa 20 Verfahren wegen der umstrittenen kurdischen Fahnen auf Versammlungen Anklagen erhoben oder Strafbefehle beantragt. Wegen des Verbreitens im Internet wurden seit Juli vergangenen Jahres außerdem etwa zehn Anklagen erhoben beziehungsweise Strafbefehle beantragt. Die Zahl der Ermittlungsverfahren dürfte weit höher sein. Nach Auskunft des Münchner Kreisverwaltungsreferats auf eine Anfrage der Linken hatte die Polizei allein bis Mitte März 21 Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Welche Kennzeichen verboten ist, steht auf einer eigentlich geheimen Liste

Ein Ermittler vom Staatsschutzkommissariat 45 berichtete am Donnerstag, dass rund 80 weitere Facebook-Nutzer denselben Post geteilt hätten wie der Münchner Theatermacher. Ein weiterer Staatsschützer sagte als Zeuge, er habe ein Video ausgewertet mit dem Ziel, "möglichst viele Delikte zu erkennen". Schlagzeilen hatten im Frühjahr und Sommer polizeiliche Ermittlungen gegen einen jungen Orchestermusiker gemacht, der auf Facebook einen Bericht des Bayerischen Rundfunks geteilt hatte, inklusive abgebildeter YPG-Fahne. Das Verfahren gegen ihn wurde mittlerweile eingestellt - unter Hinweis auf die geringe Schuld des Musikers.

Polizei und Staatsanwaltschaft sagen, sie hätten keinen Ermessensspielraum. "Sobald die Ermittlungsbehörden von der Verwendung eines Kennzeichens Kenntnis erhalten, dessen sich ein verbotener Verein bedient oder bedient hat, müssen sie nach dem Legalitätsprinzip prüfen, ob der Anfangsverdacht eines strafbaren Verhaltens vorliegt", sagt Oberstaatsanwältin Anne Leiding. Welches Kennzeichen verboten ist, steht im Schreiben des Innenministeriums. Diese Liste aber soll paradoxerweise eigentlich gar nicht bekannt werden. Nach Auffassung des Bundesinnenministeriums könnte es nämlich zu "provokativen Aktionen" führen, wenn die amtliche Zusammenstellung öffentlich würde.

Die darin gezeigten Fahnen und Symbole - das macht die Sache noch komplizierter - sind immer dann verboten, wenn sie "im Zusammenhang" mit der verbotenen PKK verwendet werden. Auch die Stadt formuliert ihre Versammlungsbescheide entsprechend. Der Richter im Fall des jungen Aktivisten bejahte das und verurteilte ihn zu 4400 Euro Geldstrafe - fast dreimal so viel, wie vom Staatsanwalt gefordert. Das Verfahren gegen den geflüchteten Kurden wegen des Plakats wurde eingestellt. Und der Theatermacher bekam am Donnerstag einen glatten Freispruch. "Ich sehe in dem Fall keinen inneren Zusammenhang zur PKK", beschied Amtsrichter Peter Maixner klipp und klar.

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Quelle:
SZ vom 16.11.2018
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