Ausstellung:Nichts mehr unter den Teppich kehren

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In Erinnerung an die von den Nazis am Hofgarten gezeigte Femeschau "Entartete Kunst": Blick in Bea Schlingelhoffs aktuelle Ausstellung "No River to Cross" im Kunstverein. (Foto: Constanza Meléndez/Courtesy die Künstlerin und Kunstverein München)

Der Kunstverein München hat mit Hilfe der Künstlerin Bea Schlingelhoff sein Verhalten während der NS-Zeit erforscht - und entschuldigt sich in aller Form dafür. Ein ziemlich einmaliger Vorgang.

Von Evelyn Vogel, München

Diese Ausstellung irritiert. Inhaltlich, weil die Recherchen des Kunstvereins über die eigenen Verstrickungen mit dem NS-Regime Fakten zu Tage förderten, die nach 1945 schnell und nachhaltig unter den Teppich gekehrt worden waren. Formal, weil die Ausstellung "No River to Cross" von Bea Schlingelhoff in eben jenem Kunstverein keine Bilder zeigt, sondern nurmehr grüne Flächen. Platzhalter für Bilder, die hier 1937 von den Nazis aufgehängt wurden in der Absicht, sie und ihre Schöpfer dem Spott und der Verachtung ihres "Heil Hitler"-schreienden Fußvolkes preiszugeben. Mehr als 600 Kunstwerke, die in 32 deutschen Museen beschlagnahmt worden waren, dicht an dicht, in allen Größen und Formaten. Und alles überschrieben mit dem als Schandfleck kunsthistorischen Unverständnisses in die Geschichte Deutschlands eingegangenen Titel "Entartete Kunst".

In diesen Räumen, in die in den Fünfzigerjahren der Kunstverein einzog, hingen sie wie in einem Paralleluniversum zur "Großen Deutschen Kunstausstellung" im neu erbauten "Haus der deutschen Kunst" - jenem Säulen bestandenen Marmortempel am Englischen Garten, in dem die von der NS-Ideologie infizierten Kunsthistoriker die Werke der Künstler präsentierten, die in ihren Augen die hehre Kunst deutscher Tugenden versinnbildlichten. Die Femeschau am Hofgarten hingegen, vollgestopft mit nichts als in ihren Augen "undeutscher" Kunst und zusätzlich durch Schmähschriften verunglimpft, sollte den Unterschied um so augenfälliger machen. In Wahrheit aber war diese Schau ein Best-of der Kunst jener Zeit.

Wo damals die Femeschau "Entartete Kunst" hing, hat Bea Schlingelhoff grüne Farbfelder aufgemalt

Und nun, 84 Jahre später, an gleicher Stelle also nichts als dunkelgrüne Platzhalter. Blinde Flecken? Zeichen des Vergessens? Mitnichten. Akribisch wurde die damalige Hängung in grafische Felder übersetzt. Wer sehen will, kann sehen. Es bedarf nur einer minimalen Unterstützung durch das kleine Begleitheft, das die Namen listet: Corinth, Nolde, Marc, Beckmann, Kokoschka, Kirchner, Klee und andere im Treppensaal. Pechstein, Schmidt-Rottluff, Nay, Heckel, Grosz, Baumeister, Schlemmer, Mondrian, Kandinsky, Feininger und viele mehr im Hauptsaal. Und schon beginnt das Kopfkino, füllen sich die grünen Platzhalter mit Bildern, die untrennbar mit der Quintessenz der Klassischen Moderne verbunden sind.

Um den Effekt der Hängung noch zu verstärken und das inhaltliche Thema visuell anzuschneiden, hat die Künstlerin Bea Schlingelhoff die weißen Wände des Kunstvereins zudem in helles Grün getaucht. Grün auf Grün. Sofort fällt einem beim Betreten der Begriff "Greenwashing" ein. Jener PR-Kniff, bei dem Unternehmen sich durch Schönfärberei ein grünes Image verpassen, um ihre umweltzerstörerischen Aktivitäten zu tarnen. Geht es hier also um Tarnung? In gewisser Weise ja. Darum, dass eine Art Tarnung nun aufgeflogen ist: Die des stets guten, altehrwürdigen Kunstvereins München, der 2023 sein 200-jähriges Bestehen begehen wird.

Mit dieser Präambel zur Satzung, die Bea Schlingelhoff in der Ausstellung "No River to Cross" als Schriftbild künstlerisch umgesetzt hat, entschuldigt sich der aktuelle Vorstand des Münchner Kunstvereins für sein Verhalten während der NS-Zeit. (Foto: Constanza Meléndez/Courtesy die Künstlerin und Kunstverein München)

Doch dieses Jubiläum wird anders werden. Viel wurde in der Vorbereitung darauf in den vergangenen Jahren im Kunstverein wie im Stadtarchiv recherchiert. Zutage brachte diese Arbeit unter anderem ein Schriftstück, auf das keiner im Kunstverein München stolz sein dürfte. Aber stolz und demütig stellt man sich unter Leitung von Maurin Dietrich seiner Verantwortung. 1936 hatte der Verein seine Satzung geändert durch die Aufnahme eines Absatzes, in dem es hieß: "Nicht-Arier können nicht Mitglied des Vereins werden". Und noch etwas belegen die Recherchen: Die Zusammenarbeit mit der Reichskulturkammer geschah nicht nur auf Druck politischer Instanzen, "sondern wurde aktiv vom damaligen Direktor des Kunstvereins München Erwin Pixis initiiert und unterstützt."

Schlingelhoff, die sich seit mehr als 20 Jahren künstlerisch mit dem Erinnern und dem Fortbestand faschistischer Strukturen beschäftigt, entwarf daraufhin eine Präambel. Darin entschuldigt sich der Kunstverein unter anderem für seine Zusammenarbeit mit dem NS-Regime und der Reichskulturkammer, anerkennt seine Mitverantwortung und bittet für die besagte Satzungsänderung "um Verzeihung". Ein wohl einmaliger Vorgang in einer Szene, in der sich selbst staatliche Museen nur zögerlich ihrer NS- und ihrer oft braun gefärbten Nachkriegsvergangenheit stellen. Mit einer Dreiviertel-Mehrheit stimmten die knapp 1300 aktuellen Mitglieder des Vereins dieser Satzungsänderung zu. Die Dokumente sind in einer von Schlingelhoff künstlerisch aufbereiteten Form Teil der Ausstellung. Die Präambel und ein Offener Brief hängen, mit allen Eingriffen, Änderungen, Streichungen und Ergänzungen am Treppenaufgang. Ein Fanal - und ein Bekenntnis, nichts mehr unter den Teppich zu kehren.

Bea Schlingelhoff: No River to Cross, Kunstverein München am Hofgarten, noch bis 21. November

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