Süddeutsche Zeitung

Diplomatie:Rudi Dutschke und der Minister für Faulheit

Max Haarich ist Münchner Botschafter der Republik Užupis. Der Dalai Lama ist Ehrenbürger, Papst Franziskus hat die Verfassung gesegnet. Das Kunstprojekt residiert derzeit in der Alten Akademie.

Von Christian Schlodder

Dass das diplomatische Parkett recht glatt sein kann, musste Max Haarich, 35, leidlich erfahren. An der Wand der Münchner Botschaft, die er vor kurzem in den Räumen der Alten Akademie bezogen hat, hängt die Tafel, mit der er eine kleine Staatskrise in der Republik Užupis auslöste. Auf der Tafel ist die Verfassung des Landes zu sehen, die er eigenmächtig änderte. Nach Artikel 38 ("Jeder hat das Recht, keine Angst zu haben") und Artikel 39 ("Besiege nicht") wollte er einen neuen, den Münchner Artikel in die Verfassung einfügen: "Jede künstliche Intelligenz hat das Recht, an das Gute im Menschen zu glauben."

Wer sich jetzt wundert, von dieser Krise in den Nachrichten nichts mitbekommen zu haben, kann beruhigt sein. Užupis gibt es nicht; zumindest nicht als anerkannten Staat. Die kleine selbsternannte Republik ist Teil der litauischen Hauptstadt Vilnius. Wenn man so will, ist sie ein Kunstprojekt, das sich mit mal mehr und mal weniger ernsten Dingen beschäftigt. Dafür gibt es eine eigene Verfassung und allerhand Ministerien für mitunter sehr spezielle Aufgaben - so gibt es etwa ein eigenes Amt für Faulheit.

Berühmte Fürsprecher hat die Republik auch. Die Verfassung wurde von Papst Franziskus gesegnet. Ein Ehrenbürger Užupis' ist der Dalai Lama, der zur Ernennung sogar persönlich vorbeischaute. Aus ein paar Ideen und Idealen unter hoheitlichem Anstrich wurde so über die Jahre eine weltweite Bewegung. Mittlerweile gibt es Botschaften und Konsulate rund um den Globus. Wie viele offiziell inoffizielle Auslandsvertreter es gibt, kann niemand sagen. "Mancher wurde zu sehr später Stunde ernannt und weiß kaum noch davon", sagt Haarich.

Er selbst ist seit 2017 Münchner Botschafter der eigenwilligen Republik. Als Botschafter kommt Haarich unorthodoxer daher, als man es von einem Diplomaten erwarten würde. Über seinem Strickpullover ("Typ Rudi Dutschke", wie er sagt) trägt er ein Sakko, an dem die Silberne Knoblauchzehe für besondere Verdienste baumelt - wobei die Träger in der Regel nicht wissen, was diese Verdienste genau sind. Zusätzlich weist ihn die Verleihungsurkunde auch als Botschafter unter den Pusteblumen aus - was auch immer das bedeutet. Užupiser Politik und Agenda ist auf den ersten Blick nicht immer schlüssig. Oftmals nicht mal auf den zweiten. So gibt es in Užupis einen Minister für Flötenspiel auf der Straße - ein Typ, so alt wie er selbst, sagt Haarich. Nur ohne Zähne. "Das flattert also ordentlich. Ein würdiger Minister", sagt Haarich.

Nun residiert er mit seiner Münchner Botschaft bis Ende Mai in der Alten Akademie, eine Zwischennutzung. Temporäre Standorte kennt Haarich, es ist für ihn bereits der sechste in der Stadt. So sind auch die Wände noch recht kahl. Ein Banner der Botschaft hängt über einer Schrankfassade. In der Mitte des Raums steht ein kleiner einsamer Tisch. Darauf liegen ein paar Visitenkarten und ausgedruckte Verfassungsexemplare. Unter der Glasplatte wartet eine Flasche Kirschwasser auf Verbrüderungsrituale. Mit Gästen stößt Haarich gern auf ein Gläschen an. Als Trinkspruch intoniert er dann ein lang gezogenes "Uuuuusch". Geuuuuscht wird während einer Audienz nicht nur einmal - vielleicht auch ein Grund, warum Auslandsvertreter am Tag nach der Ernennung Erinnerungslücken haben.

Wie Haarich selbst Botschafter wurde, weiß er jedoch noch ganz genau. Eine Urlaubsreise nach Litauen führte ihn 2014 auch nach Užupis. Plötzlich stand der Kommunikationswissenschaftler mit dem Faible für neuartige Technologien vor der Verfassung der Spaßrepublik. Die Werte Užupis, das Streben nach einem harmonischen Miteinander aller, fehlten ihm in der Technikbranche. Er arbeitete an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen, später im Gründungszentrum an der TU München und monierte, dass es zu oft um Technik um der Technik Willen gehe.

"Der Mensch muss immer im Vordergrund stehen. Damit bin ich den Leuten schon immer hart auf den Sack gegangen. Ich dachte, mit einem offiziellen Amt hören sie mir vielleicht eher zu", sagt er und schmunzelt. Knapp drei Jahre nach seinem Erweckungsmoment vor der Verfassung schrieb er dem Außenminister Užupis' von seiner Idee einer Welt, die beides zusammenbringt. Der wiederum lud ihn prompt ein. Am Vorabend des Nationalfeiertags, dem 1. April, wurde Haarich auf der Terrasse der Regierungskneipe zum Botschafter ernannt. Auf der gleichen Terrasse nahm auch der Dalai Lama seinen Ehrenbürgertitel entgegen.

Mit dem Titel im Gepäck ist er seitdem auf einer besonderen diplomatischen Mission. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, eine Brücke zwischen Kunst und Technik zu schlagen, allen voran der künstlichen Intelligenz (KI). "Die Politik Užupis' ist immer todernst, nur eben auf eine lustige Art und Weise", sagt Haarich. "Denn wenn alle an das Gute glauben, wird es auch das Gute für alle geben." Vielleicht würde ihm so mancher in gewissen Punkten Naivität unterstellen. Aber die Idee von Užupis ist in erster Linie eben auch eine von einer besseren Welt.

Das Reich der Künstler

Užupis, gesprochen " Uh-dschuhpieß" ist ein Stadtteil der litauischen Hauptstadt Vilnius. Er war lange mehrheitlich von Juden bewohnt, von denen die meisten während des Holocaust umgebracht wurden. Danach verwahrloste das Viertel zusehends. Nach der Unabhängigkeit Litauens im Jahr 1990 strömten vermehrt Künstler "jenseits des Flusses", was Užupis bedeutet. Am 1. April 1997 gründeten Thomas Chepaitis und der Filmemacher Romas Lileikis die gleichnamige Republik. Gleichzeitig wurde eine eigene Verfassung mit 41 Artikeln (darunter zum Beispiel das Recht zu sterben, ohne dazu verpflichtet zu sein), eine Flagge, eine Hymne und eine Vielzahl von absurden Ministerien eingeführt. Die "Regierung" führt die Staatsgeschäfte seit 21 Jahren und ist wohl die stabilste in Europa. Auch eine eigene elfköpfige Armee soll kurzfristig bestanden haben, die mangels Einschüchterungspotenzial aber sofort wieder aufgelöst wurde. International anerkannt ist die Republik selbstredend nicht, ein beliebtes Touristenziel hingegen schon. SZ

Da die Welt wahrscheinlich schon bald ein Hort der Technik und KI sein wird, hat Haarich einen Roboter zum Konsul ernannt. Roboy lautet sein Name. Er wurde an der TU München entwickelt. Irgendwann einmal soll er humanoide Züge besitzen. Bisher erfüllte Roboy ein paar repräsentative Aufgaben bei öffentlichen Auftritten. Diese waren trotz Kirschwasser und Silbernen-Knoblauch-Abzeichen weniger schrullig, als man vermuten könnte. Es geht um Spaß, Kunst, Technologie, ein bisschen Diplomatie und der Suche nach einem ethischen Umgang mit all dem. Haarich träumt ganz ironiefrei von einem "Future Lab" in München, wo Kunst auf Technologie trifft. Und auf Kirschwasser.

Doch Utopien haftet zuweilen an, dass auf dem Weg dahin einiges schief geht. Als sich Haarich einen Chatbot programmieren ließ, der die "Einbürgerung" nach Užupis automatisieren sollte, meldeten sich nach einer Woche mehr als 20 000 Ägypter. Haarich bekam unzählige E-Mails mit persönlichen Schicksalen und Hoffnungen auf ein besseres Leben. Es waren fast ebenso viele Mails nötig, um zu erklären, was Užupis tatsächlich ist. Der Bot ist mittlerweile abgeschaltet. Die Ruhe ist zurückgekehrt in die Münchner Botschaft.

Auch die Verfassungskrise ist mittlerweile beigelegt. Der Münchner KI-Artikel ist nach ein paar Verhandlungsrunden ebenfalls Teil der Verfassung. Auf Artikel 41, dem bisher letzten, folgt nun eine markante Linie. Und dann: "Jede künstliche Intelligenz hat das Recht, an das Gute im Menschen zu glauben." Sicherheitshalber ist der Zusatz "Münchner Recht" ergänzt. Statt Artikel 42 wird Haarichs eigenmächtige Gesetzesänderung mit dem griechischen Buchstaben Pi geführt. Warum das so ist, weiß natürlich niemand so genau.

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Quelle:
SZ vom 17.01.2019/kaal
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