Süddeutsche Zeitung

Ausstellung in der Kunsthalle München:Eintauchen ins Blütenmeer

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Die Ausstellung "Flowers Forever" in der Kunsthalle München ist ein betörend schöner Blumengruß und feiert das Leben, aber auch die Vergänglichkeit. Der kluge und unterhaltsame Parcours führt durch die Kulturgeschichte der Blume von der Antike bis in die Gegenwart.

Von Evelyn Vogel

Die Sache hätte so leicht daneben gehen können. Und tatsächlich musste sich Roger Diederen, Direktor der Kunsthalle München, auch zahlreiche und - wie er berichtet - von heftigem Augenrollen begleitete Nachfragen anhören, als er kundtat, welches populäre Thema im Mittelpunkt der großen Frühjahrs- und Sommerschau seines Hauses stehen würde. Blumen und Blüten in der Kunst - ist da nicht schon alles bis zur Erschöpfung gezeigt worden?

Doch Diederen und seiner Ko-Kuratorin Franziska Stöhr ist es gelungen, das Thema auf eine Weise aufzubereiten, dass man mit großem Genuss- und einigem Erkenntnisgewinn aus der Ausstellung herauskommt. Weit haben sie den Bogen gespannt, von der Antike bis zur Gegenwart. Und was vielleicht noch wichtiger ist: Sie haben die Exponate in Qualität und Quantität mit so viel Bedacht ausgewählt und die Ausstellung zudem thematisch so schön strukturiert, dass sich an keiner Stelle Überdruss und Langeweile breit macht. Nicht weniger als etwa 200 Werke sind hier zu sehen und illustrieren ganz herrlich die Rolle der Blume in Kunst, Wissenschaft, Religion und Mythologie, in Literatur, Politik, Ökonomie und Ökologie.

Die Gemälde, Zeichnungen und Skulpturen, die künstlerischen und wissenschaftlichen Fotografien, Video-, VR- und AR-Kunstwerke (eines an den Bitcoin-Börsenkurs gekoppelt) bilden zusammen mit den Objekten aus Design, Mode und Naturwissenschaft sowie raumgreifenden Installationen einen abwechslungsreichen Parcours. Kunstkenner wie Laien, Erwachsene wie Heranwachsende dürften gleichermaßen davon begeistert sein, weil er klug und populär zugleich gemacht ist.

Die Kuratoren beschäftigte Fragen wie: Warum wurde die Lotusblüte zu einem zentralen Symbol für den Kreislauf des Lebens? Wie kam es, dass Blumen seit jeher als Sinnbild von Liebe und Erotik gelten? Welche ökonomische und kolonialgeschichtliche Bedeutung hatte die Tulpen-Manie im 17. Jahrhundert? Oder welche Auswirkung hat der Klimawandel auf die globalisierte Blumenzucht und die Vielfalt der Arten? Anregungen holte man sich in mehreren virtuellen Gesprächsrunden mit internationalen Expertinnen und Experten aus Botanik, Kunst, Kultur, Literatur und Wirtschaft, die in dem zauberhaften Katalog nachzulesen sind.

Schon im ersten Raum klingt diese Bandbreite an: Da hängt Gurksys Foto einer modernen Tulpenzucht neben den "Haarlemer Tulpen" in Öl von Hitchcock aus dem 19. Jahrhundert, treffen 200 Jahre alte Lehrmittelobjekte auf die Augmented-Reality-Installation von Tamiko Thiel zu Klimawandel und Baumsterben.

Frühe botanische Darstellungen auf Holztafeln und Sibylla Merians gezeichnete Naturstudien fehlen ebenso wenig in der Schau wie Blossfeldts fotografische Vergrößerungen von Pflanzenteilen. Blanchards "Narziss" liegt in Öl hingegossen neben dem von Napoleon in Auftrag gegebenen steinernen Giebelrelief "Triumph der Flora" von Carpeaux. Rossettis "Venus" findet in Zahrtmanns "Adam" ihr schwules Pendant. Und Jan Brueghel treibt mit seiner "Satire auf die Tulpenmanie" den Spott auf die Spitze.

Tief in die Vergangenheit führen ägyptische Reliefs und Objekte, alt-indische und -japanische Kunstwerke. Ein irrsinniger Tafelaufsatz mit einem Narwalzahn von Fritz von Miller und Sisis filigran-floraler Brautkranz aus Gold machen Staunen. Das originale Bühnenbildmodell von "Klingsors Zaubergarten" für Wagners "Parsifal" ist ein Hingucker, ebenso wie Agathes Brautkleid für Wilsons "Freischütz"-Inszenierung, entworfen von den Modedesignern Viktor & Rolf.

Weltliches und Religiöses begegnet und ergänzt sich. In einer Art Prachtsaal entfaltet sich die ganze Vielfalt der Blumenmotivik in der Malerei und Skulptur, der Gold- und Silberschmiedekunst. Möbel mit aufwendigen Intarsien prunken neben Meißner und chinesischem Porzellan sowie gläsernen Vasen, Leuchten, Flaschen und Flacons der Belle Époque.

Aber nicht nur die Schönheit wird gefeiert, auch der Vergänglichkeit wird Tribut gezollt. Vanitas-Darstellungen aus Kunst und Kirche setzen Akzente, zeitgenössische Werke erweitern das Spektrum um Krankheiten, die durch Überzüchtungen entstehen. Natürlich fehlen Warhols "Flowers" nicht, mit Werken von Ai Weiwei und Banksy geht's ins Politische.

Die Leihgaben kommen aus deutschen wie internationalen Museen und Sammlungen, vieles aus Frankreich und Dänemark. Die Idee, die Kunst- und Kulturgeschichte der Blume von der Antike bis heute zu erzählen, hatte Diederen in der Frühzeit der Pandemie. Das herrliche Tableau "Die Rosen des Heliogabalus" des niederländischen Künstlers Lawrence Alma-Tadema von 1888 war der Ausgangspunkt der Ausstellung. Es zeigt ein Bankett des als dekadent verachteten römischen Kaisers Elagabal. Wie hier ein Meer duftender Blütenblätter auf die Gäste herabrieselt, bis sie ersticken, ist eine Augenweide und beeinflusste unter anderem den Regisseur Ridley Scott.

Zwei ganz besondere Künstlerräume sind Zeitgenossen gewidmet: Aus von Münchnern gesammelten und getrockneten Blüten hat die britische Künstlerin Rebecca Louise Law, unterstützt von 180 Freiwilligen, die duftende Rauminstallation "Calyx" gestaltet, die man betreten darf. Man taucht ein in ein zartes Meer aus Blüten und Blumen, das von der Decke hängt. Man erinnert sich an Alma-Tademas Gemälde, denkt an die Freuden des Sommers, aber auch der Herbst und der Vanitas-Gedanke schwingen mit.

Der franco-mexikanische Künstler Miguel Chevalier - der 63-Jährige gilt als Pionier digitaler und virtueller Kunst - hat mit Hilfe einer KI-basierten Software den virtuellen Blumengarten "Extra Natural" geschaffen. Algorithmen lassen ihn wuchern und vergehen, die Bewegungen der Besucher beeinflussen ihn - ein großer Spaß für alle. Eine Variation dieser immersiven virtuellen Realitäten war vor einigen Jahren im Grand Palais in Paris zu sehen.

Die Kunsthalle ist mit der Ausstellung "Flowers Forever" Ideengeber des großen Flower-Power-Festivals, das bis Oktober in der ganzen Stadt gefeiert wird. Einen Vorgeschmack auf Ausstellung und Festival bekommt man am Marienplatz. Dort hat Chevalier im Schaufenster von Ludwig Beck das Wandbild "Extra Natural" gestaltet.

Flowers Forever, Blumen in Kunst und Kultur, Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, Theatinerstr. 8, bis 27. August, der Katalog ist bei Prestel erschienen

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