Kunstausstellung:Geigerzähler des Absoluten

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Bei der neuen Ausstellung im Haus der Kunst nähern sich Künstler der Spiritualität auf unterschiedlichen Wegen. Werke von Goya, Duchamp und Warhol bis Richter werden gezeigt.

Johan Schloemann

In dieser Woche ist es genau ein Jahr her, dass um das 72-farbige neue Fenster von Gerhard Richter im Kölner Dom heftiger Streit entbrannte. Kardinal Joachim Meisner hatte kurz zuvor schon das Kunstwerk als deplatziert gerügt: "Dort, wo die Kultur von der Gottesverehrung abgekoppelt wird, erstarrt der Kultus im Ritualismus, und die Kultur entartet. Sie verliert ihre Mitte." Der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich hat bemerkt, dass die Reaktionen auf Kardinal Meisner in ihrem vollauf berechtigten Ärger ein Gegenbild von der nichtkirchlichen Kunst beschworen haben, das seinerseits Züge eines religiösen Kults trägt.

(Foto: Foto: Man Ray)

Die moderne Kunst wurde nicht etwa als säkularer Bereich gegen die Ansprüche einer Kirche verteidigt, die sich angesichts ihrer schwindenden kulturellen Macht nervös zeigt; vielmehr bekam sie, die Kunst, in der Antwort auf den Kardinal den Status der eigentlichen Transzendenzmacht unserer Zeit zugesprochen. Denn sie sei es doch, die den wahren, vielleicht einzig möglichen Zugang zum Unbestimmten darstelle.

Jetzt hängt Gerhard Richters monochromes Tafelbild "Grau" aus dem Jahr 1976 als Ausdruck negativer Theologie in der Abteilung ,,Sakralkunst‘‘ der großen Ausstellung mit dem Titel "Spuren des Geistigen - Traces du Sacré" im Münchner Haus der Kunst. Und gleich daneben die ,,Kathedrale I‘‘ von Andreas Gursky, ein Werk, das sich von einer gotischen Fensterfront die Lichtmystik und Erhabenheit borgt, die Gursky auch in profanen Großensembles dieser Welt entdeckt.

Werden diese Werke durch den Zusammenhang eher aufgewertet oder eingezwängt, den man ihnen hier gegeben hat? Nachbarn sind jedenfalls eine weibliche, ans Bett gefesselte Kreuzigungsfigur von Maurizio Cattelan sowie die Entwürfe von Kirchenfenstern, die einst Matisse für die Chapelle du Rosaire in Vence und Fernand Léger für die Église du Sacré-Cœur in Audincourt gestalteten.

Befreit vom Schmutz

Picasso hielt damals, um 1950, übrigens wenig von diesem neuen Kirchendienst der Künstlerkollegen. Dennoch hat auch er es in diese Ausstellung geschafft: mit seiner grandiosen "Frauenbüste" von 1907, einem Maskengesicht, um das andere Zeugnisse einer Faszination des Kultisch-Primitiven gruppiert sind: Mänadentänze, Opferriten und Ekstasen, bei Georges Bataille, André Masson oder auf dem Monte Verità.

Denn diese Ausstellung, die nach ihrer Präsentation im Centre Pompidou in München einerseits reduziert, andererseits ergänzt wurde, ist keineswegs eine Ansammlung sakraler, auf die Kirchen bezogener Kunst. Sie will vielmehr von Nietzsches Gottestod bis heute dem Numinosen und Transzendenten in der modernen Kunst nachspüren: dem Bezug auf Kult und Religion, überhaupt der nicht-rationellen, antimaterialistischen Entgrenzung im Sinne von Wassily Kandinskys wirrer, aber wirkungsreicher Schrift "Über das Geistige in der Kunst" (1912).

Es ist ja kein esoterisches Geheimnis mehr, dass diverse Helden der Moderne vom Bauhaus bis Mondrian sich esoterischen Geheimnissen hingaben oder sonstigen Erleuchtungen und Erhöhungen; dass Avantgarde und Mystizismus verschwistert waren. Kasimir Malewitsch, dessen Schwarzes Quadrat im ersten Raum der Schau das Absolute verkündet, meinte, "befreit vom Schmutz" könne die Kunst sich "Gott als dem zeitlosen Prinzip nähern". Über diese schwärmerische Seite der Moderne konnte man in letzten Jahren bei Beat Wyss, Klaus von Beyme und anderen einiges lesen.

Haus der Kunst
:Auf der Suche nach Spiritualität

Jeder Künstler sucht sich seinen eigenen Weg zur Spiritualität. In der Ausstellung "Spuren des Geistigen" wird unter anderem der Zugang von Gursky und Warhol gezeigt.

Sucht man nun nur die "Spuren" des Heiligen in gut 100 Jahren Kunst, dann kommen wahrlich nicht wenige zusammen, die sich als "beneidenswerte Mitarbeiter an der geistigen Pyramide, die bis zum Himmel reichen wird" (Kandinsky) qualifizieren.

Entsprechend ausgreifend ist die Auswahl der in 16 Kapitel aufgeteilten Ausstellung; die Zusammenarbeit mit Paris, wo Jean de Loisy sie konzipierte und Angela Lampe kuratierte, prominente Leihgeber und drittens die Supplemente Chris Dercons, des Direktors des Hauses der Kunst, vor allem aus der zeitgenössischen Kunst, haben zusammen so manches Werk herbeigeschafft, das wirklich aller Verehrung wert ist.

Da sind die zunehmend beliebten bunten Kreisgebilde auf den großen Tafeln der schwedischen Spiritistin Hilma af Klint, die ohne weiteres psychedelische Werke aus den Sechzigern sein könnten, aber der Theosophie um 1910/1920 entstammen; da sind Frantisek Kupkas Bewusstseinsspaltung, Hans Arps anthroposophischer Hirsch, Paul Klees "Homo novus" und Eli Lotars großartige, grausam dionysische Schlachthoffotos von 1929.

Damien Hirsts schwarzes Triptychon aus unzähligen toten Fliegen ("Forgive Me, Father, For I Have Sinned", 2006) hängt im ersten Abschnitt "Götterdämmerung". Allerlei Synkretismen werden ausgebreitet, nietzscheanischer Selbstrausch ebenso wie der existentielle Zweifel am Humanen (Francis Bacons hockender Akt) und der Ausgang der amerikanischen Moderne von indigenen Kulten bei Rothko und Pollock in den vierziger Jahren.

Es fehlen nicht Beuys' schamanistischer Koyoten-Film, ein Raum "Doors of Perception" mit den Grenzüberschreitungen der sechziger Jahre (Wallace Berman, Paul Thek) und die poetische Zungenrede von Patti Smith, die im Advent auch selbst im Museum und in der Allerheiligen-Hofkirche erscheinen wird.

Und natürlich zeigt auch die christliche Heils- und Bilderwelt ihre Beharrungskraft, ob in Anwandlung oder Ablehnung. So kommt auch das inzwischen wohl künstlerisch langweiligste Thema bei der Auseinandersetzung mit der Religion in den Blick: die Blasphemie, hier weniger dramatisch Profanierung genannt.

Andres Serranos Foto "Piss Christ" ist zu sehen. Martin Kippenbergers gekreuzigter Holzfrosch, kürzlich Gegenstand eines Südtiroler Papst- und Provinzskandals, hängt auch in dieser Ausstellung. Er hing schon vor fünf Jahren hier, und es gab keine Aufregung. Sollte es sie jetzt geben, wird sie, in der heißen Phase des bayerischen Wahlkampfs, von der Regionalpartei CSU ausgehen.

Altabendländischer Zwist

Übrigens hatte eine Künstlerin, die Ordensschwester geworden ist, von Papst Benedikt XVI. dessen Segen für die gesamte Ausstellung erbeten - und ihn vom Vatikan erhalten. In dem Brief heißt es: "Die den Menschen ins Herz gelegte Sehnsucht nach Gott hinterlässt in der Kunst aller Jahrhunderte ,Spuren des Heiligen‘, auch wenn diese teilweise verdeckt, verwischt oder sogar bewusst verunstaltet auftreten." Der Brief sollte auch gezeigt werden, doch die Adressatin hat ihn kurz vorher zurückgezogen.

Wer solchem altabendländischen Zwist entkommen will, der kann sich dem großen Schwung der Heiligkeit ferner Kulturen zuwenden. Im großen Mittelsaal des Hauses der Kunst schwingt eine riesige, raumhohe tibetanische Gebetsmühle aus Kupfer und Holz ihre Runden, ein Werk von Huang Yong Ping. Und eingangs der Ausstellung ist eine üppige Installation aufgebaut, die der Vorführung des Films "Opera Jawa" von Garin Nugroho - einer krosskulturellen Verarbeitung des Ramayana-Epos - und balinesischen animistischen Tänzen dient.

So stellt man sich eine Party beim "Verlag der Weltreligionen" vor. Aber vielleicht sollte man es einfach so sehen: So, wie eine vergleichsweise abstruse katholische Vorstellungswelt von Heiligen- und Marienverehrung sowohl Kitsch als auch viele der größten Kunstwerke der Menschheit ins Leben gerufen hat, so haben das auch die verschiedenen Sinnsuchen in der Moderne getan.

Diese Ausstellung bietet vielfältige Kunsterlebnisse, aber um den Preis einer diffusen gedanklichen Konzeption. Weder wird das Verhältnis zwischen Kunst als Verehrung und Kunst als Verehrtem, also das Thema der Kunstreligion, klar benannt; noch wird gefragt: Ist es denn für die Rezeption des Kunstwerks wichtig oder gleichgültig, an was für transzendentes Zeug der Künstler glaubt? Liegt das ominöse Transzendente im Kunstwerk oder in der Inspiration, der "Spiritualität" des Künstlers?

Die Ausstellungsmacher äußern statt solcher Überlegungen die Hoffnung, mit den Inhalten dieser Schau könne man irgendwie dem Kapitalismus, der Komplexität der Gesellschaft, den Medien und so weiter einen Ruf nach Einfachheit und Wesentlichkeit entgegensetzen. So hat die Suche nach den "Spuren des Geistigen" auch etwas von Wünschelrute und Geigerzähler.

,,Spuren des Geistigen. Traces du Sacré". Haus der Kunst, München, bis 11. Januar 2009. Info: www. hausderkunst.de. Katalog (Prestel) 25 Euro.

© SZ vom 19.09.2008/lado - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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