Süddeutsche Zeitung

Kunstaktion:Fragen statt Antworten

Die Münchner Kammerspiele bieten Künstlern Plakatflächen zur Gestaltung

Von Jürgen Moises

Die Plakatflächen waren gemietet und so wie bei jeder Spielzeit für die Ankündigung des Programms geplant. Und dann kam Corona, und die Münchner Kammerspiele blieben auf den nun eigentlich nutzlos gewordenen Flächen "sitzen". Die Frage war: Was macht man nun damit? "Wir müssen keine Werbung mehr machen, keine Kampagne gegen die CSU. Dann machen wir doch einfach das, was wir die letzten fünf Jahre machen wollten: Kunst." So erläuterte der bald scheidende Intendant Matthias Lilienthal bei der Open-Air-Presse-Preview den Anstoß für die aktuelle Plakat-Aktion des Theaters, die unter dem vom Corona-Shutdown inspirierten Motto "Welt ohne Kunst" steht. Und die, das schob der 60-Jährige noch am Ende hinterher, "unser Abschiedsgeschenk an die von uns geliebte Stadt München" darstellt.

Insgesamt elf Künstler und Theatermacher haben die Kammerspiele und die Agentur Double Standards zu der Aktion eingeladen. Dazu gehören zahlreiche bekannte Namen, die in den vergangenen Jahren eng mit den Kammerspielen verbunden waren, wie Elfriede Jelinek, Gregor Hildebrandt, Rabih Mroué, Milo Rau oder Anne Imhof. "Wenn Du nicht relevant bist fürs System, dann ist das System vielleicht nicht relevant für Dich." Diesen Satz hat etwa der Dokumentar-Theatermacher Rau auf sein Plakat geschrieben, mit dem er die Systemrelevanz-Debatten der letzten Wochen aufgreift. Ob er damit zum Systemsturz aufruft, ist nicht ganz klar. Als rhetorische Spitze gegen die Politik ist es aber dann doch eindeutig. Auch Elfriede Jelinek hat sich für eine Text-Arbeit entschieden, in der sie einleitend mit "Ihren Ausweis bitte!" Migration, Versammlungsverbot und Theater ironisch gekonnt verknüpft.

Die Künstlerin Cana Bilir-Meier wiederum nutzt in einer schönen Geste den gebotenen Raum, um mit einem Gedicht von Semra Ertan an "Düsler Ülkesi", die erste Aufführung des Theaters der Jugend im Jahr 1982, zu erinnern. Ein theaterpädagogisches, deutsch-türkisches Pilotprojekt, an dem damals ihre Mutter als Regieassistentin beteiligt war. Bei Henrike Naumann geht es um einen möglichen Umsturz, der uns beim "Bananenbrot backen" ereilt. Und bei Anne Imhof, die 2017 in Venedig den Goldenen Löwen gewann, sieht man deren Partnerin Eliza Douglas Buddhisten-gleich im Schneidersitz sitzen; mit einer Antifa-Flagge über der Schulter. Auch das ein politisches, aber keineswegs eindeutiges Zeichen. Dass man sich aber fragt: "Was ist das? Was soll das?" Genau das soll die Aktion laut Lilienthal erreichen.

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Quelle:
SZ vom 27.06.2020
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