Süddeutsche Zeitung

Kunst:Leuchtzeichen mit Horizont

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Markus Heinsdorff erinnert mit einer Installation in Aichach an die Flüchtlinge im Mittelmeer - und hilft

Von Sabine Reithmaier, Aichach

Im ersten Moment ist das orange glühende Leuchtenfeld ein rein ästhetischer Genuss. Doch das sanfte Licht im Innenhof von Schloss Blumenthal ist ein Zeichen gegen das Vergessen. Die Lampen sind aus dem Stoff gebrauchter und am Strand zurückgelassener Schwimmwesten gefertigt, der einzigen Lebensversicherung, die Flüchtlinge in den Wellen des Mittelmeers besitzen. "Licht an für mehr Menschlichkeit" nennt sich die Landschaftsinstallation von Markus Heinsdorff, ein geglückter Versuch, über das Medium Kunst auf das Thema Flucht aufmerksam zu machen.

"Die Welt steht in Flammen. Daher ist es für mich wichtig, die Kunst den Themen anzupassen, die auf uns zurollen: die weltweiten Flüchtlingsströme und der Klimawandel", sagt Heinsdorff, der das Leuchtenfeld in Kooperation mit Schloss Blumenthal geschaffen hat. Der 66-jährige Münchner Künstler hat viel Erfahrung mit derartigen Projekten. International bekannt wurde er durch seine mobilen Räume für die sogenannten Deutschlandjahre des Auswärtigen Amts und des Goetheinstituts in Indien und China. Dort und in Indonesien baute er mit dem dort als minderwertig geltenden Bambus Häuser, erstellte damit 2010 den Deutsch-Chinesischen Pavillon auf der Expo Shanghai. Wo auch immer er arbeitet, setzt er sich intensiv mit der jeweiligen Landeskultur auseinander, verwendet traditionelle Materialien, ohne auf High-Tech-Möglichkeiten zu verzichten.

Heinsdorffs Ansatz, sich experimentell und forschend einzubringen, passt gut zur Gemeinschaft Blumenthal, die er 2018 eher zufällig als privater Gast bei einer Hochzeit im Schloss kennenlernte. 2006 hatten acht Familien das Schloss in Aichach gekauft, behutsam restauriert und es Schritt für Schritt als "Lernort für gelebte Zukunft" der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Inzwischen leben dort 43 Erwachsene und 18 Kinder. Ökonomische Basis der Gemeinschaft sind Gasthaus, Hotel und Seminarbetrieb. Längst ist über die Region hinaus bekannt, dass sich die Blumenthaler für Gesundheit, Kunst und Kultur engagieren und sich mit sozialen, ökonomischen und ökologischen Fragestellungen auseinandersetzen. Auch mit der Frage, die Heinsdorff umtreibt: Wie kann man sich, weit entfernt von den Flüchtlingslagern rund um das Mittelmeer, effektiv für die Geflüchteten engagieren?

Die Blumenthaler unterstützten in den vergangenen Jahren bereits das Lager Moria in Griechenland. Doch seit dem Ausbruch der Pandemie hat sich die Lage dramatisch verschlechtert. Noch immer ertrinken Flüchtende im Mittelmeer. Daher waren sie sofort bereit, am Leuchtstelen-Feld mitzuarbeiten. "Ohne diese Unterstützung wäre das Projekt nicht finanzierbar gewesen", sagt Heinsdorff. 60 ehrenamtliche Helfer haben teils über Wochen und Monate 150 Stelen achteckig gesägt, 300 Holzkreise und 450 Leisten geschnitten, 150 Rechtecke genäht und getackert, Drahtenden verzwirbelt, 300 LED-Lampen verkabelt, 222 selbst geschweißte Erdanker im Boden versenkt und die 144 Leuchten mit Hilfe von je vier Drähten akkurat ausgerichtet. "Und das in Zeiten von Corona, mit Sicherheitsabständen, Masken, Frost und Winterwetter", sagt Heinsdorff. Doch die Blumenthaler seien eben erfahren im Organisieren von Projekten, allen voran Geschäftsführerin Annika Mayer und Produktionsleiter Sebastian Klaes.

Jetzt leuchten die 144 Objekte auf jeweils vier Meter hohen Holzstelen auf den Rasenflächen im Innenhof. Jede Leuchte weist Gebrauchsspuren auf, ist verschlissen oder hat Salzschlieren. Manche Westen haben, wie die Blumenthaler beim Zertrennen bemerkten, eine Füllung, die nicht trägt; sie wurden trotzdem an die Flüchtenden ausgegeben - "ein Drama im Drama", sagt Heinsdorff.

Drei Monate lang beginnt das Leuchtenfeld in der Dämmerung zu glühen. Dann haben hoffentlich möglichst viele Menschen eine Stele gekauft, um sie von 1. Mai an einem anderen Ort dauerhaft aufzustellen. Jeder könne so ein Zeichen der Solidarität setzen, sagt Heinsdorff. Abgesehen von den Materialkosten werden die Erlöse an Organisationen gespendet, die sich für Flüchtlinge engagieren (Informationen unter leuchtenfeld.schloss-blumenthal.de). Der Künstler jedenfalls freut sich schon darauf, in Zukunft seinen Leuchten an vielen unerwarteten Orten wieder zu begegnen.

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Quelle:
SZ vom 11.03.2021
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