"Wenn das mit der Isolation so weitergeht, dann", der Student stockt, "brauch' ich Hilfe". Per Videotelefonat unterhält er sich gerade mit einer Freundin, da erscheint ihm an der Wand seines Jugendzimmers die Jungfrau "Marie", samt Baby auf dem Arm. Der Film "Aus der Isolation", den Studenten der Hochschule für Fernsehen und Film gedreht haben, thematisiert die Vereinsamung im Corona-Lockdown, das Ersticken. Passend ist der Titel der Film-Schauspiel-Performance des Vereins "Stadt und Kunst" gewählt, bei der der Kurzfilm gezeigt wird: "breathe", also atmen. Unter diesem Motto werden das ETA Theater und die Arge Film Beton des Münchner Vereins von kommenden Donnerstag, 19. August, an bis Samstag, 21. August, Kurzfilme zeigen. Beginn ist zur Primetime, von 20.15 Uhr an, der Eintritt ist frei.
"Breathe" sei aber keineswegs alleine auf die pandemische Zeit bezogen, erklärt Gerhart Neuner, Vorsitzender des Vereins sowie Regisseur der Filme und Autor der Texte. Metaphorisch stehe der Titel auch für das "Ersticken in einer Diktatur". Dafür springt der Regisseur zwischen Gegenwart und Vergangenheit. "Zwei Frauen, die die Fähigkeit haben, in drei Epochen zu leben", erklärt Neuner die Idee. Umsetzen werden sie die Schauspielerinnen Sophie Wendt und Gabriele Graf - in Kurzfilmen, aber auch live vor dem Publikum. In den Jahren 1918/19 hungern sie, während die Spanische Grippe tobt. Im Jahr 2021 unterhalten sie sich über das vermeintliche Ende der Corona-Pandemie. Von einer Rede Hitlers gelangen sie zu den Worten von Björn Höcke (AfD). Live wird auch der walisische Schauspieler Carlton Bunce auftreten und mit seiner Rolle in die "braune Zeit", wie Neuner das Nachkriegsdeutschland um 1950 nennt, eintauchen. Er verkörpere den Teil der Bevölkerung, der an der faschistischen Vergangenheit festhält. Die "Bruchstellen in der Geschichte" werden Wendt und Graf im Dialog immer wieder reflektieren. Im Zentrum steht die Frage: Wäre uns nicht die "Gnade der späten Geburt" zuteilgeworden, wie hätten wir damals entschieden?
Den Spielort der Performance hat Neuner bewusst gewählt. "Es sind zwei Situationen, die gut zu diesen Gedanken passen." Die Filme werden meist an die mit Graffiti überzogene Betonwand des Gymnasiums an der Borschtallee 26 projiziert. Es ist nach Willi Graf, dem hingerichteten Mitglied der Widerstandsgruppe Weiße Rose, benannt. Die Schule nebenan trägt einen ebenso geschichtsträchtigen Namen: das Sophie-Scholl-Gymnasium. Auch der Hügel hinter der Willi-Graf-Schule, von dem aus die Zuschauer die Performance verfolgen können, ist Teil der Stadthistorie: Die Trümmer des zerbombten Münchens liegen darunter verborgen.
Von den Epochen losgelöst ist der letzte Film des Abends, den Studenten der Hochschule für Fernsehen und Film mitproduziert und dem Verein zugesandt haben. Käfer auf der Haut, Tabletten am Nachttisch, Rap im Blumenfeld - in ungewöhnlicher Art und Weise begleitet der knapp dreißigminütige Dokumentar-Film "Rohdiamant" Ianina Ilitcheva durch Wien und Marokko. Die Lyrikerin und Twitter-Ikone litt vor ihrem Tod im Jahr 2016 an einer seltenen Hautkrankheit.
Unter dem Pseudonym Annemarie Kuckuck spielt sie sich selbst, oft ist sie in rotes Licht getaucht, spricht aus dem Off oder mit direktem Blick in die Kamera. "Er ist aufnahmetechnisch spannend", schwärmt Gerhart Neuner über das Werk, das 2016 für den Deutschen Kurzfilmpreises nominiert war und nun an Münchens geschichtsträchtiger Betonwand zu sehen sein wird.