Susi Gelb ist enttäuscht. Die 35-jährige Münchner Künstlerin hat den deutschlandweit ausgeschriebenen Wettbewerb für "Kunst am Lenbachplatz" in Schrobenhausen gewonnen. Realisiert wird aber weder ihre Arbeit "Unter der Erde wächst das Wertvolle" noch die zweitplatzierte Skulptur "Setzling" des Leipziger Künstlerduos Stian Ådlandsvik und Lutz-Rainer Müller. Denn die Räte der Spargelstadt setzten sich über das eindeutige Votum der Fachjury hinweg und lehnten beide Werke ab, auch weil sie wohl nicht dem privaten Kunstgeschmack mancher Ratsmitglieder entsprachen.
Susi Gelb ist nicht die einzige, die sich über diese respektlose Haltung den Künstlern und Juroren gegenüber ärgert. Unerhört sei das Vorgehen, sagt Kay Winkler, Bildhauer und Juryvorsitzender. "Das hat mich richtig umgehauen", zumal die Sitzungen des Preisgerichts konstruktiv und sachlich gelaufen seien. Das bestätigt auch Beate Engl, die als künstlerische Fachbegleitung des Berufsverbands der Bildenden Künstler (BBK) München und Oberbayern den Wettbewerb betreute. Um die Stadträte frühzeitig ins Boot zu holen, habe man neben den sechs Fachjuroren Vertreter aller fünf im Stadtrat vertretenen Fraktionen als Sachpreisrichter ins Gremium berufen, sagt sie. Die Zusammenarbeit habe hervorragend geklappt trotz kontroverser Diskussionen. Dass die Räte jetzt aber einen konstruktiven Dialog ablehnen - sowohl Winkler als auch Susi Gelb hatten angeboten, die Entwürfe noch mal vorzustellen, eventuell an einem Infotag mit Bürgern - sondern jetzt alles nur schnell ad acta legen wollen, "da steckt für mich schon eine gewisse Arroganz dahinter", sagt der Juryvorsitzende.
Von einem einmalig skandalösen Vorgang spricht auch Corbinian Böhm, der Vorsitzende des BBK. In einem offenen Brief an den Stadtrat erinnert er daran, dass der bayerische Staat Kunst am Bau als Förderung bildender Künstler versteht und dies als Auftrag an die Kommunen in der Verfassung definiert hat. "Das hat die Stadt nicht ernstgenommen", sagt er. "Die denken, das ist Deko."
Bürgermeister Harald Reisner (FW), erst seit Mai im Amt, genauso wie zehn seiner Räte, ist die Angelegenheit ein wenig unangenehm. Schließlich schmückt sich der Ort gern mit Kunst oder zumindest mit seinem berühmten Sohn Franz von Lenbach. Aber Lenbach ist das eine, zeitgenössische Kunst das andere - mancher Bürger sei letzterer gegenüber noch nicht so aufgeschlossen, sagt er. "Die einen sagen, es ist super, die anderen finden es schlecht." Die zweite Gruppe war die lautere. Nach dem Votum der Jury im Februar habe sich schnell eine negative Stimmung aufgebaut, sagt Reisner. In den sozialen Medien sei die Auseinandersetzung eskaliert. "Vermutlich ließen sich viele Stadträte vom öffentlichen Druck und der Angst vor den zornigen Bürgern leiten", mutmaßt er. Reisner hat für die Kunstwerke gestimmt, hätte auch gern, so sagt er, ein stimmiges Konzept mit Kunst für den Lenbachplatz gehabt. "Und nicht so viele regionale Einzelvorschläge, die jetzt wieder reintröpfeln."
Schrobenhausen erhält für die Sanierung der Altstadt seit Jahren erhebliche Mittel aus der Städtebauförderung des Freistaats. Verpflichtet ist die Stadt aber nicht, zwei Prozent der Bauwerkskosten für Kunst am Bau auszugeben. Doch 2019 waren die meisten Stadträte für den Wettbewerb gewesen. Vorbildlich demokratisch erarbeitete man in einem vorgeschalteten Bürgerdialog eine lange Kriterienliste, die in die Ausschreibung einfloß und den Künstlern einiges abverlangte. Nicht nur, dass das Kunstwerk der zentrale Anziehungspunkt auf dem Platz sein sollte, die Bürger wünschten sich auch einen thematischen Bezug zu Schrobenhausen, wollten die Arbeit interaktiv und barrierefrei und vieles mehr. Natürlich durfte das Werk, veranschlagt mit einem Budget von 120 000 Euro, die flexible Nutzung des Platzes als Weihnachts- oder Wochenmarkt nicht behindern.
158 Künstler beteiligten sich in der ersten Runde. Zehn davon wählte die Jury für den Wettbewerb aus, jeder von ihnen erhielt 2000 Euro für Unkosten. Susi Gelb, angetan vom Ambiente der Stadt, schwebte eine Piazza nach italienischem Vorbild vor. Inspirieren ließ sie sich von den markanten Wellenlinien der Spargelfelder, die sie in Sitzbänken aus Beton und Bronze aufgriff. Dazu ein "minimalistischer Maibaum" (Gelb) mit einem schwebenden Stein, während durch das hell und dunkel verlegte Granitpflaster die optische Illusion einer Vertiefung entstehen sollte.
Wären im März nicht alle Sitzungen der Pandemie zum Opfer gefallen, hätte vielleicht noch der "alte" Stadtrat eine mutigere Entscheidung getroffen. So aber traf es den "neuen" in seiner zweiten Sitzung. Die Künstler erfuhren von dem Beschluss, auf die Kunst ganz zu verzichten, aus der Zeitung. Einen davon, den in vielen Wettbewerben erfolgreichen Thorsten Goldberg, erzürnte die Selbstverständlichkeit, mit der die Räte eigens für Schrobenhausen entworfene Lösungen zu Makulatur erklärten. Die Entschädigung decke die Kosten nicht ab, die für Reisen, Fototermine, Recherche, Kostenkalkulation und anderes entstanden seien, rechnet er in einem Brief vor. Angesichts des Aufwands müssten die Künstler davon ausgehen können, dass die Entwürfe von Fachkundigen und allein nach fachlichen Gesichtspunkten ausgewählt werden. "Wir könnten uns die ganze Arbeit sparen, wenn Geschmack oder regionale Gesichtspunkte nachträglich ins Spiel gebracht werden oder wenn dem Urteil der eingesetzten Jury nicht vertraut wird", schreibt er.
Inzwischen hat die Stadtverwaltung Künstler und Jury in einem Brief wissen lassen, dass sie die ablehnende Haltung des Stadtrats sehr enttäuscht habe. Doch nach einer internen Diskussion sei man zu der Entscheidung gelangt, eine nochmalige Behandlung des Kunstwettbewerbs im Stadtrat nicht weiter zu verfolgen. Die Regierung von Oberbayern hat aber noch nicht aufgegeben. Ihr wäre an einer fachlich fundierten öffentlichen Vorstellung der Ergebnisse gelegen. Daher hat sie an den Bürgermeister geschrieben und ein Gespräch zum weiteren Vorgehen angeregt. Ende Juli wird es stattfinden.
Auf Susi Gelbs Tisch liegt noch der Ordner mit den Kostenvoranschlägen. Sie habe so viel Arbeit reingesteckt, sagt sie. Und darf nicht an die anderen Projekte denken, die sie abgesagt hat, um sich auf den Wettbewerb zu konzentrieren.