Exponate im Netz:Kunst, vom Sofa aus betrachtet

Karl Valentin Musäum digitalisiert sich

Andreas Koll im Valentin-Karlstadt-Musäum.

(Foto: Stephan Rumpf)

Die städtischen Museen geben 5,8 Millionen Euro dafür aus, ihre Bestände kostenlos ins Internet zu stellen. Angst, dass die Besucherzahlen zurückgehen könnten, haben sie nicht.

Von Alessa Becker

Große Puppen haben einen gewissen Gruselfaktor an sich. Doch Andreas Koll, Archivar des Valentin-Karlstadt-Musäums, hat sich längst daran gewöhnt. Auf einem Stuhl neben seinem Arbeitsplatz sitzt eine Puppe des Komikers Karl Valentin und starrt ihn mit leeren Augen an. Der blasse Valentin im Anzug ist nicht die einzige Kuriosität im Archiv. Zahlreiche Figuren, Büsten und Puppenköpfe glotzen aus den Ecken und beobachten Koll bei der Arbeit. Wandteller von 1860, eine alte Schreibmaschine, Postkarten, Fotografien und Valentin-Originaldokumente sind in dem Räumchen im Isartor verstaut.

Seit 2009 verwaltet Koll die Sammlung rund um Karl Valentin und seine Partnerin Liesl Karlstadt. "Ein wichtiger Bereich meiner Arbeit ist die Digitalisierung", sagt er. Seit acht Jahren sei er damit beschäftigt, Dokumente und Objekte zu fotografieren, um ein digitales Archiv anzulegen. "Zum Beispiel bei Originalbriefen ist das sehr sinnvoll, denn die Objekte bleiben so besser geschützt."

Exponate im Netz: Beim Digitalisieren nutzt Koll zum Abgleich eine Farbpalette.

Beim Digitalisieren nutzt Koll zum Abgleich eine Farbpalette.

(Foto: Stephan Rumpf)

Schüler, Studenten oder Doktoranden können die interne Datenbank zu Recherchezwecken nutzen, allerdings müssen sie dafür eine Anfrage stellen und angeben, wofür sie die Informationen brauchen. Das wird sich in Zukunft ändern: Seit einem Jahr liegt der Museumsbetrieb in der Hand der Stadt - und die Bestände aller städtischen Museen (Lenbachhaus, Villa Stuck, Stadtmuseum, Jüdisches Museum) sollen sukzessive bis Ende 2020 im Internet frei zugänglich gemacht werden. Bald kann die blasse Valentin-Puppe also auch von Computerbildschirmen aus starren.

Eine von der Stadt finanzierte Museumsmanagementsoftware (MMS) vereint alle digitalisierten Objekte auf einem gemeinsamen Server. Die Kunstwerke werden dafür in hoher Qualität abfotografiert. Die Gesamtkosten für Planung, Erstellung und Betrieb der MMS belaufen sich auf etwa 5,8 Millionen Euro, darin enthalten sind auch Personal- und Sachkosten sowie die IT-Dienstleistungen.

Im Archiv des Valentin-Karlstadt-Musäums ist eine Nikon-Kamera mit einem Makroobjektiv an einem Stativ befestigt, das sich hoch- und runterfahren lässt. Zwei starke Lampen erhellen die Ablagefläche darunter. Rund 4000 Euro kostet diese "Reproduktions-Anlage", Koll hat damit bislang rund zwei Drittel des Kernbestandes digitalisiert. Ende 2020 möchte er mit den ersten Objekten online gehen.

Behutsam und akkurat legt er ein 60 Jahre altes Foto auf die Repro-Anlage. "Damals kam die Idee auf, das Valentin-Karlstadt-Musäum einzurichten", erzählt er. Um später die Farbechtheit auf dem PC prüfen zu können, legt er eine bunte Palette neben das Bild. Noch scharf stellen, dann drückt er den Auslöser. Im Computer wird das Bild automatisch in die Archivdatenband geladen. "Nun muss ich dazu so viele Infos wie möglich zu Entstehung und Motiv eintragen", erklärt Koll. Größere Objekte wie die Valentin-Puppe kann er natürlich nicht auf die Anlage legen. "Den fotografiere ich auf seinem Stuhl sitzend ab, das kann bei so großen Objekten aber sehr aufwendig sein."

Ein Aufwand, den die Stadt unterstützt: "Die beliebten Objekte und Motive unserer Museen soll man jederzeit ansehen können und Bilder davon gerne mit anderen teilen", sagt Kulturreferent Hans-Georg Küppers, "denn unser Auftrag ist, das uns anvertraute Kulturgut sichtbar zu machen und den Menschen unser kulturelles Erbe zu vermitteln, auch digital." Diese Meinung teilt auch Karin Althaus, Sammlungsleiterin und Kuratorin im Lenbachhaus: "Wenn man sich die Dinge online ansehen kann, weckt das die Neugier auf das Original." Die Angst, dass Besucherzahlen zurückgehen könnten, wenn man die Sammlungsbestände auch vom Sofa aus anschauen kann, sei unberechtigt.

Fünf Jahre soll das Digitalisierungsprojekt am Lenbachhaus noch laufen, aber "absolute Vollständigkeit kann vermutlich nie erreicht werden", sagt Althaus. Die Online-Sammlung enthält Werke aus allen Sammlungsschwerpunkten: Blauer Reiter, 19. Jahrhundert und Kunst nach 1945. Werke, die in hoher Auflösung hochgeladen wurden, kann man drucken, herunterladen oder in sozialen Netzwerken teilen. "Wir werden diesen Service weiter ausbauen, so kann man sich weltweit einen Eindruck von den ausgestellten Werken verschaffen", sagt Küppers.

Die freie Bereitstellung von Kunst im Internet ist aber auch mit Schwierigkeiten verbunden, denn viele Werke sind urheberrechtlich geschützt. "Das ist juristisch nicht einfach", sagt Sabine Rinnberger, Direktorin des Valentin-Karlstadt-Musäums. Das Urheberrecht und alle damit verbundenen Rechte erlöschen erst 70 Jahre nach dem Tod des Künstlers. Bis dahin entscheiden Erben oder Nachlassverwalter, ob Werke, meist gegen eine Gebühr, gezeigt werden dürfen - oder eben nicht. "Mit Karl Valentin ist das momentan schwierig", sagt Archivar Koll. Der sei zwar nun seit gut 70 Jahren tot - Karl Valentin starb am 9. Februar 1948 -, jedoch hatte seine Partnerin Liesl Karlstadt auf viele Werke Co-Autorenrechte, sodass diese erst im Jahr 2030 freigegeben werden.

Exponate im Netz: Wer durch die kleine Tür im Isartor geht, gelangt ins Valentin-Karlstadt-Musäum zu Andreas Koll.

Wer durch die kleine Tür im Isartor geht, gelangt ins Valentin-Karlstadt-Musäum zu Andreas Koll.

(Foto: Stephan Rumpf)

"Es ist wichtig, dass wir auch zeitgenössische Kunst online zeigen können und diese Werke online nicht nur mit einem Platzhalter versehen sind", sagt Lenbachhaus-Kuratorin Althaus. "Wir schreiben verschiedene Künstler persönlich an und zahlen eine Gebühr an die Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst, die die Rechte geschützter Werke vertritt", erklärt sie. 2017 haben sich rund 50 Museen, Archive und Bibliotheken, die mit dem gleichen Problem konfrontiert sind, zusammengeschlossen und die "Münchner Note" verfasst. Die gemeinsame Erklärung enthält Forderungen an den Gesetzgeber, die das Thema digitale Sammlungen, Transparenz und freier Zugang zur Kunst betreffen. "Museen, Bibliotheken und Archive eint im Rahmen ihres Bildungsauftrags als Gedächtnisinstitutionen der naheliegende Wunsch, sich im Umgang mit ihren Sammlungsbeständen den Bedürfnissen des 21. Jahrhunderts anzupassen", heißt es darin. Bevor schlechte Aufnahmen von Handykameras im Netz kursierten, sei es naheliegender, die Werke in guter Qualität online zu stellen.

Trotz aller Anstrengungen glaubt Koll nicht, dass er in den nächsten paar Jahren den gesamten Bestand des Valentin-Karlstadt-Musäums online zugänglich machen kann. Aber vielleicht hat das ja auch sein Gutes. "Um alles zu sehen", sagt Knoll an seiner Repro-Anlage, "muss man eben vorbeikommen."

Wie weit sind andere Museen digitalisiert?

Auch andere Münchner Museen arbeiten an der Digitalisierung ihrer Sammlung. Dabei gilt es, teilweise Bilderrahmen mitzufotografieren, nach Epochen oder Sälen zu sortieren und die Rückseiten nicht zu vergessen:

Die Villa Stuck geht 2019 noch online

Exponate im Netz: In der Villa an der Prinzregentenstraße arbeitete Franz von Stuck.

In der Villa an der Prinzregentenstraße arbeitete Franz von Stuck.

(Foto: Jens Weber/oh)

Das einstige Wohnhaus und Atelier des Künstlers Franz von Stuck bietet Einblicke in dessen Leben. Von der zweiten Jahreshälfte 2019 an soll das auch online möglich sein: Als Teil des Gemeinschaftsprojekts der städtischen Museen will die Villa Stuck ihre digitalisierten Bestände dann auch im Internet zugänglich machen. "Wir sind gerade mitten im Prozess der Digitalisierung", sagt Margot Brandlhuber, Leiterin der Sammlungen. Die Werke werden vor dem Abfotografieren nach Größe und Form sortiert, damit die Digitalkamera nicht jedes Mal komplett neu eingestellt werden muss. "Zu vielen Kunstwerken gehört bei uns der extra dafür entworfene Rahmen dazu, der auch fotografiert werden soll", erklärt Brandlhuber. Urheberrechtlich seien die Werke des seit mehr als 90 Jahren verstorbenen Malers und Bildhauers nicht mehr geschützt und könnten daher frei im Internet gezeigt werden.

Die Digitalisierung sei keine Inventur, betont Brandlhuber - das Ziel sei, Bilder, Keramiken und andere Kunstobjekte online in hoher Auflösung zu präsentieren. "Die Leute können dadurch Neues entdecken und es macht Spaß, sich umzuschauen." Durch die hohe Qualität sei es sogar möglich, Fotos auszudrucken oder hineinzuzoomen. "Das Museum wird durch die Stadt finanziert, deshalb möchten wir die Werke den Menschen auch frei zugänglich machen", sagt Brandlhuber.

Die Pinakotheken zeigen ihre Depotbestände

Lange Nacht der Museen in München, 2018

Die Alte Pinakothek zeigt Werke bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts.

(Foto: Stephan Rumpf)

Der Bestand der Münchner Pinakotheken gehört zur bayerischen Staatsgemäldesammlung, aus der bereits seit dem Jahr 2017 etwa 25000 Kunstwerke im Internet frei zugänglich gemacht worden sind. Gut die Hälfte der Kunstwerke fällt allerdings unter das Urheberrecht und ist deswegen nicht dargestellt. Lediglich Metadaten wie Inventarnummern, Herkunft und grundlegende biografische Informationen über den Künstler sind in diesem Fall im Netz zu finden. Nicht nur die Ausstellungen stehen online, sondern auch etwa 17000deponierte Werke der Pinakotheken sowie des Museums Brandhorst und der Sammlung Schack. Dabei wird aber nur der feste Bestand digitalisiert, Leihgaben für Sonderausstellungen werden nicht berücksichtigt. Für die Digitalisierung nehmen hauseigene Fotografen die Bilder aus ihren Rahmen, um sie möglichst hochauflösend ablichten zu können.

Die Fotos können unter www.sammlung.pinakothek.de nach Kunstepochen geordnet durchsucht werden. Unter der Rubrik "Rundgang" sind die Werke auch nach Sälen aufgeteilt. Alle online verfügbaren Stücke können in einem Album zusammengefasst, gespeichert und ohne weitere Erlaubnis sogar für kommerzielle Zwecke genutzt werden. Sukzessive soll der Onlinebestand noch erweitert werden, wobei laut Angabe der Pinakotheken das nötige Geld dafür momentan fehlt.

Im Lenbachhaus wird montags digitalisiert

Exponate im Netz: Der golden glänzende Neubautrakt des Lenbachhauses.

Der golden glänzende Neubautrakt des Lenbachhauses.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Im Dezember 2018 hat das Lenbachhaus als erstes der städtischen Museen einen Teil seines Bestandes online gestellt. Zwei Fotografen arbeiten derzeit an der Digitalisierung. Das Haus verfügt über mehrere Außenlager, sodass ein Restaurator die Kunstwerke zunächst ins Museum transportieren muss. Der Aufwand ist hoch, doch dadurch kann man sich auf https://sammlungonline.lenbachhaus.de auch einen Überblick über den sonst verborgenen Bestand der Depots verschaffen.

Installationen werden extra für die Digitalisierung aufgebaut und von mehreren Seiten fotografiert. "Wir machen das an Montagen, wenn das Museum geschlossen hat, oder zwischen den Ausstellungen in den externen Lagern", erklärt Sammlungsleiterin Karin Althaus. Etwa zehn Gemälde kann Fotograf Ernst Jank an einem Tag aufnehmen. "Das ist keine Fließbandarbeit", sagt er, "denn bei jedem Kunstwerk muss ich individuell entscheiden, welches Licht ich einstelle, alte Farben reagieren darauf ganz unterschiedlich. "Wichtig sei auch, die Rückseite des Gemäldes zu fotografieren, denn "darauf befinden sich Informationen für Forschungszwecke". Allerdings mache er sich Sorgen um die Sicherung der Daten: "Niemand weiß, ob wir die Dateiformate, in denen wir heute unsere Fotos speichern, in einigen Jahrzehnten überhaupt noch öffnen können und die passenden Programme dafür haben."

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