Pasinger Fabrik:Die neue Normalität

Lesezeit: 3 min

Ein Truderinger Spielplatz aus Drohnen-Perspektive von Ulrich Opitz. (Foto: Ulrich Opitz/oh)

Auf Einladung der Pasinger Fabrik haben internationale Künstlerinnen und Künstler die Auswirkungen von Pandemie und Lockdown in Bilder übersetzt: Sie zeigen leere Stadtlandschaften und Menschen auf Abstand. Jetzt ist eine Auswahl der Arbeiten zu sehen

Von Jutta Czeguhn

Nach dem ersten Schock ist da diese enorme Kränkung. Etwas findet ohne uns statt - und wir werden noch nicht einmal vermisst. Die Natur, die Stadtlandschaften, sie zeigen sich völlig unbeteiligt, ja ungerührt, was unsere Abwesenheit angeht. Als brauche es uns nicht. Doch weil unsere Spezies nun mal so ist, wie sie ist, kann uns diese Pandemie nicht so einfach mit Steuerung X aus dem Bild löschen, zur Fußnote erklären. Unsere anthropozentrische Eitelkeit lässt also nur die eine trotzige Diagnose zu: Ohne Mensch ist Leere. Ist die Kränkung aber runtergeschluckt und verdaut, erwacht eine brennende Neugierde: Die vermeintliche Leere durchschreiten wir wie Forschungsreisende auf Expedition, entdecken ihre Schönheit und versuchen so, wieder Kontrolle und Deutungshoheit zu bekommen. Die Ästhetisierung als Waffe gegen das Schreckliche, sie schafft Bewusstsein, ermöglicht Reflexion, aber auch Distanz.

Seltsame Welt: Andreas Zingerles "Kette". (Foto: Andreas Zingerle/oh)

Als die Pasinger Fabrik im Mai in einem Open Call Künstlerinnen und Künstler weltweit einlud, ihre Shutdown-Erfahrungen zu teilen, die Auswirkungen der Pandemie in zeitgenössische Bildsprache zu übersetzen, hatte das Leben, auch das kulturelle, nach der Vollbremsung gerade zaghaft wieder Fahrt aufgenommen. Über die Sommermonate, als die Kuratoren Thomas Linsmayer und Stefan-Maria Mittendorf die Rückmeldungen sichteten, hatte sich sogar so etwas Ähnliches wie Normalität eingestellt. Von den etwa 80 Bewerbungen können sie nun in der Ausstellung "Kultureller Shutdown: Social distancing & empty spaces" ein Drittel zeigen. Das Reizvolle wie Verwirrende an dieser internationalen und transmedialen Schau ist, dass man nicht weiß, ob sie die Welt in der Vergangenheit, der Gegenwart oder der Zukunft zeigt.

Da sind also zunächst die Stadtlandschaften, aufgenommen im Frühjahr und deshalb meist völlig ohne die Beilage Mensch. Im Lichthof und in der Bar gibt es dazu ein Shutdown-Special, München im Ruhemodus, in einer vielleicht etwas erwartbaren Motivauswahl mit entvölkerten Ansichten von Marienplatz, Feldherrnhalle oder Siegestor, von Straßenfluchten. Aber auch Phänomene des neuen Quarantäne-Alltags wie Pizzaschachtel-Berge, die Ralf Temporale in tristem Schwarz-Weiß dokumentiert hat. Wichtig war den Kuratoren, dass die Bilder die historische Dimension der Situation erzählen: keine Sonntagmorgen-Aufnahmen also, sondern die vertraute Welt im Ausnahmezustand, unter exakter Angabe von Zeit und Ort. Wie auf Susa Hummels Bild "Osterreiseverkehr 2020", das die A 9-Einfahrt am 4. April vormittags als gespenstisch schönen Horror Vacui in Magenta zeigt.

Andrew Kravchenkos Stillleben mit Maske "No smell no taste". (Foto: Andrew Kravchenko/oh)

Totenstadt-Ästhetik aus aller Welt, mal nüchtern dokumentarisch, mal mit großer Geste auf fast schon romantische Erhabenheit zielend, mal in stiller Trauer. In den Galerieräumen im ersten Stock trifft man auf Szenen aus Kiew, Teheran, Kairo, Bombay, Rom, New York, London und Los Angeles. "Der internationale Zusammenhang kommt daher, dass wir schon immer sehr viele Kontakte haben über die Künstler-Residenzen im Pasinger Ebenböckhaus aber auch über unsere Länder-Festivals", sagt Kurator Linsmayer. Da ist beispielsweise der indische Fotograf Tapan Pandit, der 2014 einige Zeit in der WG in der Pasinger Künstler-Villa verbrachte. Das absolut menschenleere Straßenpanorama aus seiner Heimatstadt, der Mega-Metropole Mumbai, erscheint wie ein Zeugnis der Postapokalypse, der schwerkranken Welt. Gerade weil sie abwesend sind: die Millionen Menschen in den Slums, die Hunger-Kolonnen verzweifelter Wanderarbeiter, die überfüllten Bahnhöfe und Busse.

Neujahrsgrüße aus Teheran von Ali Hadadi und Zohre Salimi. (Foto: Ali Hadadi und Zohre Salimi/oh)

Ihre eigentliche Sogkraft aber entfaltet die Pasinger Schau in den Darstellungen der Weggesperrten, die durch ihre künstlerische Qualität deutlich herausragen aus der Bilderflut an Instagram- und Whatsapp-Schiffsmeldungen. Man erkennt sich wieder, etwa in den Home-Office-Menschen aus Annette Hempflings Serie, deren Welt auf ein paar Quadratmeter geschrumpft ist. "Social distancing" ist binnen kurzem zum seltsamen Normalzustand geworden, dessen Gesetzmäßigkeiten man längst inhaliert hat: der Blick via Zoom-Meetings in fremde Wohnzimmer, wo sich Menschen in ihre Möbel förmlich hineinmorphen oder kleine Bühnenbilder inszenieren. Zusammenzucken lassen uns heute eher physische Interaktionen, Umarmungen oder Händeschütteln. Noch vor einem Jahr etwa wäre die Dekodierung von Piotr Armianovski Serie eine völlig andere gewesen. Der Ukrainer zeigt Finger, die Handläufe in U-Bahnen oder Straßenbahnen umklammern. Der Gedankenreflex im Herbst 2020: igitt, Schmierinfektionen! Durch eine Glasscheibe hat Alexander Chekmenev in Kiev Obdachlose porträtiert, Menschen, für die Isolation schon lange vor Corona Alltagserfahrung war. Er reißt sie aus der Anonymität, erzählt ihre Geschichten. Etwa von Viktoria, die in der Untergrundpassage am Kiewer Hauptbahnhof lebt, im siebten Monat schwanger ist und hofft, dass ihr die Behörden ihr Kind nicht wegnehmen werden. Ein Schicksal zum Gesicht liefert auch die Österreicherin Jana Madzigon, in ihren atmosphärisch dichten Wiener "Porträts mit A(n)bstand" stellt sie die Menschen nicht aus. Dafür gab es im begleitend zur Schau ausgelobten Wettbewerb als Anerkennung den zweiten Preis, vor Ulrich Opitz, der aus der Adlerperspektive versucht, den Überblick in einer unüberschaubaren Gegenwart zubekommen. Seine Kamera-Drohne hat menschenleere Münchner Freizeitstätten überflogen, die aus der Höhe betrachtet wie abstrakte Gemälde von Klee oder Kandinsky erscheinen. Der mit 2000 Euro dotierte erste Preis der Schau geht nach Teheran an Ali Hadadi und Zohre Salimi. In zwölf beeindruckend ausgeleuchteten Arbeiten lässt das Fotografenpaar anonyme Desinfektionskrieger in Schutzanzügen durch das nächtliche Teheran patrouillieren. Oder bebildert die Sehnsucht nach Nähe, die weltweit die Menschen eint. Wie ein barockes Prunkstillleben ist da eine Tafel für das Neujahrsfest arrangiert. Davor sitzt nur ein alter Mann, starrt traurig auf sein Handy. Denn seine Lieben, sie sind unerreichbar für ihn.

"Social distancing & empty spaces", Pasinger Fabrik, August-Exter-Straße 1, bis 29. November, Dienstag bis Sonntag, 16 bis 20 Uhr, mit Begleitprogramm, Infos unter www.pasinger-fabrik.de

© SZ vom 27.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: