Süddeutsche Zeitung

Kunst:Begegnungen auf Augenhöhe

Die Pinakothek der Moderne macht aus der Gegenüberstellung von Werken der Gegenwartskunst und Klassischer Moderne ein "Rendez-vous des amis". Dabei entsteht ein wertvoller Dialog.

Von Jürgen Moises

Wir sind Zwerge, die auf den Schultern von Riesen sitzen. Das wusste bereits Bernhard von Chartres. Und der mittelalterliche Gelehrte wollte damit sagen, dass wissenschaftlicher oder philosophischer Fortschritt auf den Leistungen früherer Generationen beruht. Auch die bildende Kunst entsteht nicht im Vakuum. Jedes Bild hat seine Vorbilder, auf die es sich bewusst oder unbewusst bezieht.

In der Ausstellung "Au rendez-vous des amis" in der Pinakothek der Moderne sind es die "Riesen" der Klassischen Moderne, an die ausgesuchte Vertreter der Gegenwartskunst anknüpfen. Deren insgesamt 80 Werke stammen aus der Münchner Sammlung Goetz. Sie treten in den Dialog mit rund 120 Arbeiten der Klassischen Moderne, die dort neu gehängt und arrangiert wurden. Der mediale Schwerpunkt liegt dabei auf der Malerei. Dieser wurde um Beispiele der Fotografie, Skulptur, Arbeiten auf Papier sowie teilweise erstmals ausgestellte Bildteppiche ergänzt.

Zu letzteren zählt etwa die Arbeit "A-Z Carpet Bed" von Andrea Zittel, die 1995 entstand. Mit ihrem abstrakt-geometrischen Formvokabular hat sie in der Malerei von Josef Albers ihren Vorläufer, von dem das Gemälde "Salute" (1967) zu sehen ist. Louise Bourgeois hat in Ernst Ludwig Kirchner ihren Dialogpartner. Ihr aus Stoff bestehendes, 44 Zentimeter großes "Couple" (2004) nimmt auf Kirchners Gemälde "Spielende nackte Menschen unter Baum" (1910) Bezug. In beiden Arbeiten zeigen sich ozeanische und afrikanische Einflüsse. Bei Bourgeois kommt aber auch eine neue, weibliche Perspektive ins Spiel.

Sarah Lucas knüpft in ihren fotografischen Selbstporträts an Gemälde der Neuen Sachlichkeit von Künstlern wie Karl Hubbuch oder George Grosz an. In den Werken von Rosemarie Trockel, Katja Strunz oder Gerwald Rockenschaub wirken lebensreformerische Utopien und konstruktivistische Ideen des Bauhauses aus den 1920er-/30er-Jahre weiter. Und George Segal greift in seiner aus Gips gearbeiteten Figurengruppe "Legend of Lot" (1965) bereits ein Jahr nach Francis Bacon Motive aus dessen Gemälde "Cruxificion" auf.

Ersichtlich wird aus diesen Gegenüberstellungen, wie die Avantgarde den Weg für ein freies Experimentieren mit Farbe, Linie und Perspektive sowie für neue soziale Ideen geebnet hat. Die "Rendez-vous" zeigen aber genauso, dass zahlreiche Gegenwartskünstler durchaus kritisch mit dem Erbe ihrer "Freunde" umgehen. Aber auch solche Kritik braucht es für Fortschritt.

Au rendez-vous des amis. Klassische Moderne im Dialog mit Gegenwartskunst aus der Sammlung Goetz, Di., 29. Sep. bis 28. März, Di.-So. 10-18 Uhr, Do. 10-20 Uhr, Pinakothek der Moderne, Barerstr. 40, Telefon 23805360

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Quelle:
SZ vom 23.09.2020
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