Euward-Preis:Andreas Maus bringt Exzesse des Grauens aufs Papier

Euward Haus der Kunst

"Ausgelöscht für Immer" hat Andreas Maus das Buch genannt, dem das Bild "Eine brennende Frau im Bombenhagel auf Deutschland 1940" entnommen ist.

(Foto: KunsthausKAT18)

Frauen im Bombenhagel, Gehenkte in Konzentrationslagern, gefolterte Kinder: Das Haus der Kunst präsentiert die verstörenden Werke von Maus - und die anderer Euward-Preisträger.

Von Sabine Reithmaier

Andreas Maus macht es einem nicht leicht. Er arbeitet sich in seinen Bildern an der NS-Zeit ab, zeichnet Opfer von Gewalt und Unrecht, bannt mit Kugelschreiber oder Bleistift Exzesse des Grauens aufs Papier. Frauen im Bombenhagel, Gehenkte in Konzentrationslagern, gefolterte Kinder - unermüdlich füllt Maus das Papier mit Strichen, Kreisen, Linien. Mit seiner aufwendigen, an Häkelmaschen erinnernden Technik gestaltet er handschriftlich kommentierte Bilderbücher der Gewalt. Auch wenn er keine fortlaufenden Erzählungen entwickelt, muten seine Hefte wie Graphic Novels an.

Maus hat in diesem Jahr den ersten Preis des Euward erhalten, des Europäischen Kunstpreises für Malerei und Grafik im Kontext geistiger Behinderung, den die Münchner Stiftung Augustinum seit 2000 im Dreijahresrhythmus vergibt. Direktor Andrea Lissoni hat die Schau nach zweimaligen Gastspielen im Buchheim-Museum wieder ans Haus der Kunst zurückgeholt. Seinerzeit war der Umzug an den Starnberger See mit dem bevorstehenden Umbau begründet worden. Doch die überfällige Generalsanierung wurde mehrmals verschoben, verzögert sich, wie seit Januar 2020 bekannt, weitere Jahre. Lissoni trägt das gefasst, verkündete bereits Anfang April, es gebe für ihn im Moment Wichtigeres als die Reparaturarbeiten am Gebäude: nämlich das Haus und sein Programm wieder weithin sichtbar zu machen.

Für den Euward ist die Rückkehr ein Glück. Allein schon die Plakate, auf denen nur die Künstlernamen stehen, signalisieren, dass sich der Preis aus dem einengenden Kontext kognitiver Einschränkung zu lösen beginnt. Hier wird schlicht relevante zeitgenössische Kunst präsentiert, auch wenn Kunstbetrieb und Forschung diese Arbeiten bislang weitgehend übersehen. Um die Qualität von Maus' Bildern zu entdecken, ist es nicht wichtig zu wissen, dass der Künstler geistig behindert ist, "durch eine Zwillingssturzgeburt mit Sauerstoffmangel im Gehirn", wie Maus es im Katalog formuliert.

Geboren 1964 in Köln, hat der Künstler die Nazi-Gräuel und den Krieg zwar nicht selbst erlebt. Und doch ist er geprägt davon. Seit 1981 widmet er sich dem Projekt, Unfassbares fassbar zu machen. Vielleicht auch weil ihm bewusst ist, dass er damals möglicherweise nicht überlebt hätte, sondern "ausgelöscht" worden wäre. Ausgelöscht - der Begriff taucht oft auf in seinen Künstlerbüchern, inzwischen acht an der Zahl mit hunderten Seiten. Das Wissen um diese Möglichkeit, aber auch die Erfahrung der eigenen Ausgrenzung und die in der Jugendpsychiatrie erlebte Gewalt lassen ihn auf der Seite der Opfer stehen.

Euward Haus der Kunst

Der Schweizer Felix Brenner erkundet in Selbstporträts die eigene Biografie.

(Foto: Felix Brenner)

Neben dem Grauen finden sich in den Büchern Sportszenen, er zeichnet im Krieg zerstörte Kirchen und Moscheen, verehrt Anne Frank ("ein Stück Deutschland, was leider ausgelöscht wurde", Maus) oder Pina Bausch. Erholung findet der Künstler in der Abstraktion, da lässt er seiner Fantasie freien Lauf. "Das künstlerische Arbeiten hilft, mich aus dem Teufelskreis der inneren Wut zu befreien, da es auch befreiend ist das Unwohlbefinden und die Wut auf dem Papier auszulassen und wie gesagt sind beschädigte Zähne sehr teuer, muss ich mir für immer merken" (Maus).

Beeindruckend ist die Vielseitigkeit des zweiten Preisträgers. Felix Brenner, 1955 in Basel geboren, malt, fotografiert, performt, produziert Videos, veröffentlicht Sendungen auf Mix-Cloud und beschäftigt sich sowohl ethnobotanisch als auch in Zeichnungen mit Pflanzen, die halluzinogene Wirkstoffe enthalten. Das Spektrum seiner Techniken ist groß, reicht von Bleistift über Tusche und Aquarell zur Lithografie. Hartnäckig erkundet er die eigene Biografie, betreibt in ungezählten Selbstporträts Feldforschung am eigenen Ich.

Euward Haus der Kunst

Kar Hang Muis Farblandschaft trägt keinen Titel.

(Foto: Atelier de Kaai, Goes, NL)

In seinen überaus kunstvoll verschachtelten, wandfüllenden Bildern taucht sein eigenes Gesicht neben Porträts von Wissenschaftlern, Philosophen, Religionsstiftern auf. Dazu häufig sein Hund "LaPomme", Katzen und andere Tiere, aber auch Innenräume, Dorfansichten, Architekturdetails, alles umrankt von psychoaktiven Pflanzen. Sorgfältig komponierte Arbeiten, obwohl er sie in Rauschzuständen malt. Sein Leben wild zu nennen, wäre eine Untertreibung. "Ausbrechen aus dem Elternhaus als dreizehnjähriger, Drogen, Gefängnis, Psychiatrie, Politaktivist in Basel, Verbrennen des eigenen Oeuvres, Obdachlosigkeit und gerichtliche Auseinandersetzungen um Eigentum" - so fasst es Kurator Klaus Mecherlein im Katalog zusammen.

Ganz anders Kar Hang Mui, 1989 mit asiatischen Wurzeln in den Niederlanden geboren. Er ist Autist, zerstörte anfangs seine Arbeiten, sobald er sie fertiggestellte hatte. Erst als er einen separaten Arbeitsplatz erhielt, hörte er damit auf. Seine wuchernden Fantasielandschaften beeindrucken durch ihren immensen Farbenreichtum. Den eigentümlich schimmernden Glanz, der die Arbeiten auszeichnet, erzielt er, in dem er die Oberfläche immer wieder mit Farbstiften übermalt. Die fertigen Arbeiten landen in einer Schublade. Er selbst sieht sie nie wieder an.

Felix Brenner, Andreas Maus, Kar Hang Mui. Euward 8, bis 27. Juni, Haus der Kunst. Als digitale 360-Grad-Ausstellung unter www.euward.de

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