Kunst am Bau:Unaufdringlich eindringlich

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Die Künstler Emanuel (links) und Benjamin Heisenberg sowie Elisophie Eulenburg mit ihrem Projekt. (Foto: Stephan Rumpf)
  • Am 1. Mai eröffnet das NS-Dokumentationszentrum in München. Die SZ setzt sich in mehreren Texten mit der schwierigen Vergangenheit der Stadt auseinander und wirft einen ersten Blick in das neue Haus.
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  • In diesem Artikel lesen Sie, warum das Kunstprojekt "Brienner 45" vor dem Eingang des Dokuzentrums gelungen ist.

Von Christoph Wiedemann

Neun Monitore, gruppiert zu vier Konglomeraten, scheinen rund um das neue NS-Dokumentationszentrum am Königsplatz aus dem Erdboden zu wachsen. Auf ihnen flimmern in hart geschnittenem Rhythmus Bilder aus der braunen Vergangenheit über die Mattscheiben, die gemischt werden mit zeitgenössischen Filmsequenzen. Dazu liest eine Stimme aus dem Off Texte vor. Alltagspiktogramme unterbrechen immer wieder wie Satzzeichen diese zunächst etwas kryptisch anmutenden Wort-Bild-Collagen.

Im unachtsamen Vorbeigehen nimmt man nur wahr, dass es hier - dem geschichtsträchtigen Ort angemessen - um die Zeit des Nationalsozialismus geht. Zwei Optionen bieten sich nun: Der Besucher lässt sich, ohne langes Verweilen, aber von den Bilderwellen auf den Monitoren diffus eingestimmt, ganz einfach ins Innere des Dokumentationszentrums spülen.

Oder er bleibt stehen und sieht sich die Installation genauer an. Entwickelt haben sie als Kunst am Bau die Brüder Benjamin und Emanuel Heisenberg gemeinsam mit ihrer Cousine Elisophie Eulenburg.

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Drei bis zehn Minuten lange Bild-Text-Collagen

Die Beschäftigung damit lohnt, denn den Dreien ist ein Kunststück gelungen. Das Kunststück nämlich, an einem geschichtlich höchst negativ aufgeladenen Ort, dem Platz, an dem ehemals das "Braune Haus" der NSDAP stand, eine ungeheuerliche Vergangenheit zu beschwören - ohne belehrend, unangenehm mahnend oder auf der anderen Seite gar politisch unkorrekt zu agieren. Es ist der unaufdringliche Versuch, die Kluft zwischen damals und heute mit assoziativen Andeutungen zu überbrücken und bei aller Distanz zum Geschehenen doch einen gegenwärtigen Zugang zur Geschichte zu ermöglichen.

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Dazu sichteten die Künstler zunächst alte Archive. Die dabei gefundenen Bilder ergänzten sie durch zeitgenössisches Filmmaterial, um daraus eine Art Bildsprache zu entwickeln, die sie quasi kommentierend verschiedenen Texten unterlegen konnten. Insgesamt zehn äußerst divergente Schriftdokumente aus der Zeit des Nationalsozialismus wählten sie dafür aus.

Das reicht vom Bericht des Chefs des Einsatzkommandos 3 zu den Massenerschießungen in Litauen über den verzweifelten Brief eines todgeweihten 14-jährigen Jungen aus dem Konzentrationslager Pustkow in Galizien und Reden von Goebbels oder Hitler bis hin zu Aussagen des Hitler-Attentäters Georg Elser und den Mahnungen, die Thomas Mann 1942 von London aus an die Deutschen richtete.

Die daraus konstruierten drei bis zehn Minuten langen Bild-Text-Collagen laufen zeitversetzt auf den einzelnen Monitorgruppen, so dass sich selbst bei wenig konzentrierter Betrachtung ein Assoziationsrahmen ergibt, der in Bann zieht und die Sinne unterbewusst einstimmt auf die im Inneren des Ausstellungshauses wartenden Dokumentationen.

Die Brüder Heisenberg - Benjamin ausgebildet an der Münchner Kunstakademie und anschließend als Regisseur an der Hochschule für Film und Fernsehen, Emanuel als Wirtschaftshistoriker - sowie die in Berlin, London und New York erzogene Cousine Elisophie Eulenburg haben als Team eine überzeugende Lösung zustande gebracht.

© SZ vom 29.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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