Süddeutsche Zeitung

Kulturzentrum:Der Gasteig ist nicht schön, aber er funktioniert

  • Im Gasteig wird das 30-jährige Bestehen gefeiert.
  • Um die zwei Millionen Besucher kommen pro Jahr, allein 750 000 davon in die diversen Säle - doch wirklich beliebt war der Bau am Isarhochufer von Anfang an nicht.
  • Trotz verschiedener baulicher Mängel funktioniert das Gesamtkonstrukt Gasteig recht ordentlich.

Von Franz Kotteder

"Warum reißt man die Hütte nicht einfach ab und baut das Ganze neu? Kommt bestimmt auch nicht teurer!" So lautet die gängige Reaktion, wenn in der Stadt die Rede auf den Gasteig kommt mit seiner Philharmonie und insbesondere deren hohe Sanierungskosten, die demnächst fällig werden.

Über die Qualitäten des großen Konzertsaals hat Leonard Bernstein schon kurz nach der Eröffnung sein finales, seitdem immer wieder zitiertes Urteil gesprochen: "Burn it!" Laut des damaligen Geschäftsführers des Kulturzentrums, Eckard Heintz, schrieb Bernstein diese Worte ins Gästebuch des Hauses aus Wut über die mangelnde Begeisterung des Münchner Publikums über die Aufführung eines seiner eigenen Werke an diesem Abend - und nicht aus Enttäuschung über die Akustik des Saales.

Nachprüfen lässt sich das freilich nicht mehr. Trotzdem: Die Liebe der Münchner zu ihrem Stahlbetonklops am Isarhochufer hielt sich von Anfang an in Grenzen. Der große Kabarettist und Schauspieler Jörg Hube erntete stets eine Menge Lacher, wenn er in seinem Herzkasperl-Programm von der "Kulturvollzugsanstalt" sprach und das rote Münchner Klinkergebirge anhand zweier Fotos mit dem 120 Meter hoch aufragenden Festungsberg in Salzburg verglich.

Retro-Charme kommt bei der Jugend an

Man sieht schon, es ist nicht die große Leidenschaft, die die Herzen der Münchner erfüllt, wenn sie an ihren Gasteig denken. Auch wenn aktuelle Geschäftsführerin Brigitte von Welser gerne erzählt, dass gerade Jugendliche neuerdings das Kulturzentrum für sich entdecken: "Für die hat das Haus tatsächlich inzwischen so einen sympathischen Retro-Charme, mit seiner ganzen frühen Achtzigerjahre-Architektur."

Ältere Damen und Herren können das vielleicht nicht so ganz nachvollziehen. Für sie ist der Gasteig ja Ausdruck eines Kulturverständnisses der Siebzigerjahre: Kultur und Kunst für alle, und alles möglichst unter einem Dach. Da steht der Gasteig zumindest gedanklich in einer Reihe mit dem Centre Pompidou in Paris und dem Barbican Centre in London.

Aber ist das überhaupt noch zeitgemäß oder nur noch der Beton gewordene Ausdruck eines Strebens nach demokratischer Kulturvermittlung, die heute längst Realität geworden ist? Die Zahlen sprechen ja dafür. Wenn der Gasteig an diesem Dienstag um 12.30 Uhr mit einer großen Geburtstagstorte für alle Besucher sein 30-jähriges Bestehen feiert (das große Fest folgt dann erst im kommenden Mai), dann feiert er damit auch eine Erfolgsgeschichte.

Um die zwei Millionen Besucher pro Jahr, allein 750 000 davon in den diversen Sälen, die anderen vor allem in der Stadtbibliothek und in der Volkshochschule - das allein zeigt, wie hinfällig alle bauästhetischen und programmatischen Grundsatzdiskussionen genaugenommen sind. Da fühlt man sich fast an den berühmten Cartoon von Friedrich Karl Waechter erinnert, in dem eine Frau über ihren Geliebten sagt: "Er sieht zwar nicht gut aus, aber er küsst wie eine gesengte Sau." So ähnlich ist es mit dem Gasteig wohl auch: Was die Besucherstatistik angeht, ist er wahrscheinlich eines der bedeutendsten Kulturzentren Europas.

Zu wenig Raum und Räume

Die Multifunktionalität hat halt schon auch ihre guten Seiten, keine Frage. Wo viel ist, kann halt fast jeder was für sich entdecken. Auf der anderen Seite sind die durchaus lebendig gefüllten 1561 Räume des Gasteigs oft auch nicht ganz einfach zu bespielen. Die Münchner Philharmoniker und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks können (nicht nur wegen ihrer musikalischen Ausbildung) ein Lied davon singen, die Anlieferung von technischem Gerät ist höchst umständlich. Es gibt im Grunde zu wenig Räume für Musiker und Technik.

Überhaupt, die technische Ausstattung: Als das Kulturzentrum geplant wurde, war das Internet noch nicht einmal Neuland, kein normaler Mensch hatte den Hauch einer Ahnung davon, wie wichtig Computer einmal werden würden. "Digitalisierung" gab es als Begriff noch nicht, humanistisch Gebildete hätten dahinter wohl etwas Naturheilkundliches vermutet, wegen des lateinischen Namens Digitalis für die Fingerhutpflanzen, die als Arzneimittel für Herzkrankheiten bekannt sind. Heute aber muss erst aufwendig umgerüstet und neu eingebaut werden, was sonst längst Standard ist in Konzertsälen, Vortrags-, Ausstellungs- und Sammlungsräumen.

Gewiss: Heute würde man wohl nicht mehr alles unter einem Dach versammeln - gerade weil die einzelnen Kultursparten längst nicht mehr so streng getrennt sind, wie sie es vielleicht noch in den Siebzigerjahren waren. Das ist aber eine Frage der Mode und kein Argument gegen den Gasteig an sich. Denn dass er trotz mancher Mängel letztlich doch ganz ordentlich funktioniert, zeigt sich jeden Tag aufs Neue wieder.

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SZ vom 10.11.2015/vewo
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