Kunst:Absurdes Hochrüsten

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Für den Künstler Franz Wanner ist die "Mauer von Perlach" Sinnbild einer paranoiden Welt

Von Ulrike Steinbacher, Perlach

Sie steht für das Absurde. Errichtet wurde sie, weil die Bewohner einer Reihenhauszeile Ruhe vor der neuen Flüchtlingsunterkunft nebenan haben wollten. Die Nachbarn erklagten sich Lärmschutz und bekamen eine 100 Meter lange und vier Meter hohe Wand aus Gabionen - Stahlkörbe voller Bruchsteine. Ein Stadtviertelpolitiker verglich das Bollwerk in einem Internet-Video mit der Berliner Mauer und löste damit einen Shitstorm aus. Die "Mauer von Perlach" wurde Ende 2016 über Nacht weltberühmt als Projektionsfläche für den Zustand des Landes. Was man zunächst einmal als Beispiel deutscher Übergründlichkeit hätte deuten können, mutierte zum Symbol der Ablehnung von und Abschottung vor Flüchtligen. Das Absurdeste daran: Die Unterkunft für 160 Minderjährige an der Nailastraße steht bis heute leer. Der Lärm, vor dem die Mauer die einen schützen soll, die Flüchtlinge, die sie aus Sicht der anderen diskriminiert, sie existieren gar nicht.

Wo es absurd wird, ist Franz Wanner in seinem Element. Und er hat eine ganz persönliche Geschichte über die Perlacher Mauer zu erzählen, aber dazu später. Wanner geht es in seiner künstlerischen Arbeit um die unsichtbaren Ebenen hinter vermeintlich transparenten Fakten. Er legt verschüttete historische Zusammenhänge frei, stellt - oft unangenehme - ethische Fragen, die von einer allgemeinen Fixierung auf Wohlstand und Technik verdrängt werden, will den Blick des Betrachters weiten, sichtbar machen, was in einer Art unausgesprochenem Konsens ausgeblendet wird, weil es nicht zum gesellschaftlichen Selbstverständnis einer Demokratie passt. Zwei medienübergreifende Installationen sind noch bis 17. September in der Ausstellung "After the Fact" über Propaganda im 21. Jahrhundert im Kunstbau des Lenbachhauses zu sehen.

Ist Wanners gesellschaftskritischer Ansatz an sich schon komplex, seine sperrigen Themen machen es dem Betrachter nicht leichter: Rüstung beschäftigt ihn, Dual Use, also die Nutzung von Produkten und Technologien für militärische wie zivile Zwecke, missachtete Bezüge zur NS-Zeit, außerdem die räumliche und inhaltliche Nähe von Münchner Universitäten und Rüstungsunternehmen. Der 42-Jährige recherchiert akribisch für seine Arbeiten; die Fakten zu seiner Installation "Dual Use" lösten 2016 sogar eine Anfrage der Landtagsgrünen aus. Doch nimmt er sich auch die Freiheit, die dokumentierten Elemente mit seinen Assoziationen zu verknüpfen, neue, oft skurrile Zusammenhänge herzustellen und so eine eigene Sprache für eine schwierige Erzählung zu finden.

Die Installation "From Camp to Campus" beschäftigt sich mit dem Ludwig-Bölkow-Campus der Bundeswehr-Universität Neubiberg. Er ist auf dem Gelände des ehemaligen Dachauer KZ-Außenlagers in Ottobrunn untergebracht, das Thema NS-Zeit wird im Lehrangebot aber ignoriert. Und von den fünf Studiengängen dort, die eine Hochglanzbroschüre bewirbt, wird in Wirklichkeit nur einer angeboten - nur für die akademische Ausbildung von Bundeswehrpiloten. Die Staatsregierung hat Wanners Darstellung übrigens bestätigt, auf jene Landtagsanfrage der Grünen hin. "Battle Management Drawings", seine andere Arbeit im Lenbachhaus, leiht sich ihren Namen von militärischen Informationssystemen, die auf strikte Kontrolle von Sprache ausgerichtet sind. Er zeigt die Systeme, die an Europas Grenzen die Zuwanderung überwachen, als Bausteine eines "objektorientierten Weltmodells". Flüchtlinge würden nicht als potenzielle Partner im Zusammenleben betrachtet, sondern als Objekte, abgewehrt mit Hilfe von Bojen, Drohnen und Satelliten. Oder mit einer Mauer.

Da passt es gut, dass der Künstler bei seinem eigenen Besuch an der Perlacher Mauer vergangenen März gleich von einer "Objektschutzstreife" gestoppt wurde. Zwei Polizisten wollten ihn am Fotografieren hindern, obwohl das auf öffentlichem Grund gar nicht verboten ist, und holten vier Kollegen zur Verstärkung. Am nächsten Tag kam ein Anruf von der Kripo. "Das ging mir dann schon zu weit", sagt Wanner. Vier Monate und diverse Briefwechsel später weiß er immer noch nicht, ob seine Daten inzwischen gelöscht sind. Doch die Begegnung hat seinen Sinn fürs Absurde angesprochen: "Die Objektschutzstreife beschützt die Mauer vor dem unbewohnten Heim, die München vor der Anwesenheit von Flüchtlingen schützen soll", fasst er zusammen. "Das finde ich interessant als Konstellation."

Abschlusspräsentation von zwei Ortsanalyse-Workshops in Ottobrunn und Perlach, am Dienstag, 1. August, 19 Uhr, Kunstbau, Lenbachhaus, Luisenstraße 33.

© SZ vom 28.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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