Alles fing an in den Straßen von Amsterdam. Max Zorn, ein Street-Art-Künstler, den es von München über Hamburg in die niederländische Hauptstadt verschlagen hatte, entdeckte, dass man mit Hilfe von braunem Packklebeband und einem Skalpell tolle Motive schaffen kann und dass Straßenlaternen großartige Hintergrundbeleuchtungen für seine Arbeiten abgeben.
Damals ging es um kleinformatige Tape-Art-Bildchen, die temporär an den Straßenlaternen angebracht wurden. Zorn spricht von "Stickern", wenn er sich an diese Anfänge erinnert. Und noch immer hat er ein Projekt laufen, das "Stick Together", bei dem ihm Menschen rund um die Welt helfen sollen, kleine handgemachte Klebebildchen an Straßenlaternen anzubringen. Aber Zorn ist mittlerweile sehr viel weiter. Seit drei Jahren klebt er riesige Leuchtbilder, stellt in internationalen Galerien aus, war auf einer Kunstmesse in Hongkong sowie auf der Art Basel Miami zu Gast und hat auf seiner Website Millionen von Klicks.
Doch der Reihe nach. Zorn, mittlerweile 31, hat in Hamburg Politische Wissenschaften studiert, sein Interesse galt aber schon früh künstlerischen Ausdrucksformen, die im öffentlichen Raum zu finden sind. So kam er dazu, mit Klebeband zu arbeiten. Tape-Art ist mittlerweile nicht mehr nur als Street-Art auf der Straße daheim, sondern bildet eine nicht ganz kleine und durchaus etablierte Kunstszene. Besonders in Berlin gibt es eine pulsierende Tape-Art-Szene. Und auch hier in München versuchen sich Künstler mit Tape-Art: in der Regel sind es undurchsichtige und oft vielfarbige geometrisch geklebte Muster auf Wänden oder in Form von Rauminstallationen. Einer der hiesigen Lokalmatadore, der so manchen Club, das eine oder andere Ladenlokal und alte Industriehallen beklebt hat, ist der Münchner Akademiestudent Felix Rodewaldt.
Max Zorn aber wandte sich durch seine Amsterdamer Sticker-Erfahrung ab von der Wandarbeit hin zu hintergrundbeleuchteten Motiven: Die Idee von Tape-Art im Leuchtkastenformat war geboren. Das funktioniert ein wenig ähnlich wie Hinterglasmalerei: Zorn muss spiegelverkehrt kleben. In bis zu zwölf Schichten wird das braune Packband vertikal und horizontal übereinander geklebt. Nur wenn er amerikanisches Packband benutzt, was gelegentlich vorkommt, muss er mehr Schichten kleben, weil das dünner und heller ist. Dann schneidet Zorn mit dem Skalpell die Strukturen aus, zieht die Ausschnitte ab, klebt wieder, schneidet und so weiter. So entstehen die unterschiedlichen Schattierungen.
Zuerst versuchte er es auf Glas, dann auf Plastik und kam schließlich zum Plexiglas. Auch die Versiegelung, um die Motive licht- und feuchtigkeitsdicht sowie farbecht zu verschließen, entwickelte er weiter. Und schließlich galt es auch, die perfekte Beleuchtung zu finden, die nicht heiß wird, weil ansonsten das Klebeband Gefahr läuft, sich abzulösen. Die fand er mit den LEDs.
Als die Sache so weit gediehen war, dass er mit der Technik zufrieden sein konnte - das war so um 2012 herum -, nahm er ein Video über die Entstehung einer Arbeit im Zeitraffer auf, unterlegte es mit Musik und stellte es online. Innerhalb weniger Wochen hatte er eine halbe Million Klicks - und eine Menge Interessenten an der Backe.
Zorn schafft mittlerweile Tape-Art-Leuchtbilder in vielen Formaten. Große Arbeiten, für die er bis zu 100 Stunden braucht, in kleinen Auflagen, mittelformatige Serien, ja sogar Kleinformatiges in Zigarrenkisten, die in drei bis vier Stunden entstehen, sind zu haben. Die Motive sind immer gegenständlich, figurativ. Vorbilder sind der Film Noir und die Kunst des amerikanischen Realismus, festlegen lassen will Zorn sich da nicht. Er will vor allem eines: Geschichten erzählen.
In seinen sepia-braunen Werken - jüngst hat er angefangen, zudem mit rotem Packband zu experimentieren - mit Titeln wie "City Tales", "Sugar Club", "Burlesque" oder "Beach Day" tauchen amerikanische Nobelkarossen mit Breitwandreifen, Nadelstreifenanzüge, Hüte und gegelte Haare, extravagante Kleider, hohe Absätze, Bubiköpfe und Federboas auf, da tummeln sich starke Männer und schöne Frauen, aber auch Skylines, Bars und Straßenszenen aus Chinatown sind zu sehen. Alltags- und Unterhaltungsszenerien aus dem Amerika der Zwanziger und Dreißiger vor allem. Manchmal an Edward Hopper erinnernd, mitunter melancholisch, oft voller Lebensfreude. Das Lebensgefühl der damaligen Zeit fängt Max Zorn dabei ziemlich gut ein. Die Arbeiten sind vielleicht nicht ganz große Kunst, aber perfekt sind seine Bilder, die er ohne Projektionsvorlage, frei Hand auf die Plexiglasscheibe klebt und ausschneidet, allemal.
Dass die Galerie Muca seine Werke nun zeigt, liegt nahe. Denn hier pflegt man Urban Art, wo auch die Wurzeln von Zorns Tape-Art zu finden sind.
Max Zorn: Tape Art , Galerie Muca, Maximilianstraße 54, verlängert bis 18. April, Mo-Fr 10-19 Uhr, Sa 11-16 Uhr. Mehr Infos unter www.maxzorn.com