Kundgebung:Roter Mohn und gelbe Westen

Rund 4000 Demonstranten gehen am Samstag gegen die Sicherheitskonferenz auf die Straße. Viele haben Angst vor einem neuen atomaren Wettrüsten, manche pflegen ihre Feindbilder

Von Martin Bernstein

Kundgebung: Massen zwischen Maschen: die Anti-Siko-Demonstration auf dem Stachus.

Massen zwischen Maschen: die Anti-Siko-Demonstration auf dem Stachus.

(Foto: Sebastian Gabriel)

Er ist derzeit trotz seiner kolossalen Größe unsichtbar. Zugebaut von der noch kolossaleren weißen Hallenkonstruktion des Pressezentrums der Sicherheitskonferenz: Bayerns erster Kurfürst, der hoch zu Ross und in Erz gegossen über dem Wittelsbacherplatz thront. Maximilian I. war ein rechter Kriegstreiber. Solange zumindest, bis er erreicht hatte, was er wollte - und bis der Krieg, der zum fürchterlichen dreißigjährigen werden sollte, sein eigenes Land erreichte. Dann ließ Maximilian eine Mariensäule errichten und um sie herum vier Putti aufstellen, die die vier Menschheitsplagen niederringen: Unglaube, Pest, Hunger - und eben den Krieg, den er selbst entfesselt hatte.

Zwischen diesen beiden Polen, Krieg und Frieden, bewegt sich am Samstag der Protest gegen die Sicherheitskonferenz. Am Platz der Opfer des Nationalsozialismus ziehen die Demonstranten vorbei und am zugebauten Kurfürsten, dann an der Feldherrnhalle. Schließlich versammeln sie sich um die Mariensäule. Gleich gegenüber hat das Aktionsbündnis gegen die Sicherheitskonferenz die Bühne für die Schlusskundgebung aufgebaut. Sie ist weniger allegorisch dekoriert als Maximilians Propagandasäule, aber der apokalyptische Ton klingt auch in der Neuzeit an: "Zur Hölle mit der Nato" steht auf einem Großplakat. Geballte Fäuste zerbrechen einen Bomber - so wie gegenüber der gerüstete Bronze-Putto den Löwen des Krieges zerschmettert.

Oft wird beklagt, dass das Treffen von Politikern, Militärs und Rüstungsfirmen mitten in München stattfindet, dass diese Großveranstaltung mit ihren Absperrungen und Umleitungen und ebenso die Proteste dagegen jedes Jahr Mitte Februar regelmäßig Teile der Münchner Innenstadt in eine Art Ausnahmezustand versetzen. "Entschuldigung, wo kann man hier hingehen, wo keine Demo ist?" fragt hilfesuchend am Nachmittag eine junge Frau mit Kinderwagen, die beim Stadtbummel in den Strom der Kundgebungsteilnehmer geraten ist. Doch wo anders könnten existenzielle Fragen von Krieg und Frieden, von Flucht und Hunger verhandelt werden als mitten unter den Menschen?

Ob man aus Geschichte lernen kann: Die 4000 Kriegsgegner, die an diesem Samstag auf den Beinen sind, denken dabei vermutlich nicht an Kurfürst Maximilian und jenen Krieg, der vor 400 Jahren begann. Aber viele von ihnen erinnern sich noch an den Kalten Krieg, das Wettrüsten der Supermächte, die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen in Europa, gegen die die Anhänger der Friedensbewegung Anfang der Achtzigerjahre auf die Straße gingen, millionenfach. Und jetzt soll sich Geschichte wiederholen? "Keine neuen Mittelstreckenraketen in Europa". Hinter diesem Transparent können sich die Demonstranten am Samstag versammeln. "Eigentlich müssten Millionen gegen das hier auf die Straße gehen." Das sagt eine Frau mit einer roten Mohnblume.

Aus der Geschichte lernen? Viele Teilnehmer der Kundgebung am Samstag zeigen mit diesem Symbol, was sie darunter verstehen. 3200 Mohnblumen hatte der Münchner Aktionskünstler Walter Kuhn im November als Mahnung zum Frieden auf dem Königsplatz aufgestellt. Auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs wurde der rote Klatschmohn zum Symbol für Blutvergießen und Tod. Der Mohn gilt seit damals als Gedenkblume für Kriegsopfer. Wenn es so etwas wie ein Symbol der "Anti-Siko"-Demonstration 2019 gibt, dann die überdimensionalen roten Seidenblumen.

Kurdische Flaggen, die von der Justiz als Werbung für die verbotene Arbeiterpartei PKK betrachtet und deren Träger strafrechtlich verfolgt werden, spielen anders als vor einem Jahr kaum eine Rolle. Zu Beginn der Kundgebung auf dem Stachus werden sie von einem Versammlungsleiter auf der Bühne gezeigt - um zu verdeutlichen, was nicht gezeigt werden dürfe, wie Franz Haslbeck vom Aktionsbündnis sagt. Im Zug selbst sind eine Handvoll Fahnen der Kurdenmilizen YPG und YPJ zu sehen, außerdem ein Porträt des eingesperrten Kurdenführers Abdullah Öcalan.

Doch die Polizei schreitet nicht ein, ebenso wenig, als ein roter Bengalo gezündet wird, kurz bevor der Zug auf den Marienplatz einbiegt. Lediglich zwei Personen werden während der Kundgebung festgenommen. Wie das ist mit dem Lernen aus der Geschichte, die Frage stellt sich auch in diesen beiden Fällen: Ein Ukrainer hat eine Tätowierung mit SS-Runen zur Schau gestellt, ein Italiener den Hitlergruß gezeigt. Auf dem Platz der Opfer des Nationalsozialismus. Viele Demoteilnehmer tragen gelbe Warnwesten. Einer hat sie mit einem wohl satirisch gemeinten Gedicht bedruckt - und zitiert dabei ungeniert das Horst-Wessel-Lied, die verbotene Parteihymne der NSDAP.

Etwa 90 Gruppen, Initiativen und Organisationen haben zu der Demonstration aufgerufen und zu der Menschenkette. Symbolisch wollen sie so die Konferenz im Bayerischen Hof umzingeln. "Es wird gezündelt, um die Gewinnspanne zu maximieren", lautet ein Vorwurf der Teilnehmer in Richtung Sicherheitskonferenz. Redner bei der Kundgebung am Stachus fordern "Abrüstung statt Sozialabbau". Kritisiert wird auch, dass die Bundeswehr in Schulen die Werbetrommel für sich rühren darf. Im Bayerischen Hof gehe es nicht um Sicherheit, sagen Sprecher der Rüstungsgegner, und auch nicht um Werte - "jedenfalls nicht um unsere, allenfalls um Börsenwerte". Die angebliche "Sicherheitsarchitektur", die dort gebaut werde, sagt der Kabarettist Ecco Meineke in einem bemerkenswerten Text, arbeite mit Mauern "aus Wassern" und mit Feindbildern.

Während er das sagt, pflegen viele Teilnehmer ihre je eigenen Feindbilder. Die ukrainische Regierung etwa ist für manche ein Feindbild - Russland nicht. "Halt stand, stolzes Russland!" hat jemand auf ein Plakat geschrieben. Kein Feindbild ist der venezolanische Diktator Maduro, eine mögliche US-Intervention schon. "Hands off Venezuela" steht auf einer Fahne. Und natürlich immer wieder und vor allem: "die" im Bayerischen Hof. "Wenn Sie jemanden verhaften wollen, dann dort drüben", ruft eine Rednerin bei der Schlusskundgebung den Polizisten zu.

Von 6500 Demonstranten sprechen am Ende die Veranstalter vom Aktionsbündnis. Sie müssten es besser wissen, auch sie haben gezählt. Und sind dabei ebenso wie die Polizei und andere Beobachter auf 4000 gekommen. So viel Übereinstimmung ist suspekt, flugs wird aufgestockt. Polit-Folklore. Gleich ein paar Mal sind voriges Jahr in München Zehntausende auf die Straße gegangen. Oft waren es Familien mit Kindern, die das Bild bestimmten. Nicht so am Samstag, trotz des drohenden Wettrüstens.

Umso mehr fallen zwei Buben auf. Sie halten ein Transparent in den Händen, auf das sie ihre Lehre aus der Geschichte gemalt und geschrieben haben. Oder vielleicht ihre Angst davor, was die Erwachsenen ihnen wieder einmal einbrocken könnten: "Keine Waffen - kein Krieg", steht da. Ganz einfach so. Keine hundert Meter weiter rollt ein Altersgenosse mit seinem Skateboard über den Lenbachplatz. In der strahlenden Frühlingssonne, im Niemandsland zwischen 4000 Demonstranten und 3000 Polizisten.

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