Noch dauert es fast fünf Monate, bis Anfang Mai die berüchtigten Übertrittszeugnisse verteilt werden, die gemeinhin auch als das Grundschulabitur bezeichnet werden. Eigentlich entscheidet sich erst dann, für welche weiterführende Schule das Kind geeignet ist. Für viele Eltern steht aber schon jetzt fest: Das Gymnasium muss es sein. Komme, was wolle. Dass es aber auch alternative Wege zur Hochschulreife gibt, daran denken die wenigsten. Die Realschule ist weitläufig noch bekannt, mit der Mittelschule tun viele sich schon schwerer, obwohl auch dann noch viele Wege offenstehen. Dass es aber auch Wirtschaftsschulen gibt, ist vielen vollkommen unbekannt.
Das bayerische Kultusministerium will die Schulform nun stärken, die zur Mittleren Reife führt und vor allem auf kaufmännische Ausbildungen, aber auch Berufsfachschulen vorbereitet, an denen der Unterricht wesentlich anspruchsvoller als an regulären Berufsschulen ist. Am entsprechenden Schulversuch "Wirtschaftsschule ab der sechsten Jahrgangsstufe" dürfen nun erstmals auch kommunale Bildungseinrichtungen teilnehmen - und gleich im ersten Anlauf hat es die städtische Wirtschaftsschule Riemerschmid in die Projektphase geschafft.
Vom kommenden Schuljahr an können in der Mädchenschule bereits Sechsklässlerinnen beginnen - also von der Mittelschule ebenso wechseln wie von einer Realschule oder dem Gymnasium. Bisher gibt es an der Einrichtung in der Frauenstraße ein vierstufiges Modell von der siebten bis zur zehnten Klasse, ein dreistufiges, das die Jahrgangsstufen acht mit zehn umfasst, und den zweistufigen Jahrgang in den Klassen neun und zehn. Schulleiterin Heidemarie Valentiner hat sich für den Schulversuch eingesetzt. "So haben wir mehr Zeit, um mit den Mädchen zu arbeiten, damit sie auch in dieser stressigen Zeit einen Ausbildungsplatz bekommen", sagt sie.
Wenn Valentiner durch das alte Gebäude führt, das sich ihre Schule mit der zweiten Wirtschaftsschule der Stadt, der Friedrich-List-Wirtschaftsschule, teilt, ist sie sehr darauf bedacht, die Vorzüge hervorzuheben: moderne Fachräume mit neuen PCs und schnellem Internet zählen da ebenso dazu wie die schuleigenen Firmen, die Programme zur Berufsfindung und das Schließfach, das jede Schülerin für ihre Sachen erhält, und die zusätzlichen Förderstunden. "Wir haben eine Abschlussquote von 98 Prozent", sagt Valentiner stolz. Der Schulleiterin ist durchaus bewusst, dass sie ein wenig werben muss für ihre Schule. "Wirtschaftsschulen sind tatsächlich nicht so bekannt", sagt Valentiner. Das mag alleine schon daran liegen, dass es in München gerade einmal drei von ihnen gibt, lässt man die privaten Institute außen vor: Zwei betreibt die Stadt, eine der Freistaat.
Skeptisch seien einige Eltern aber auch, wenn sie hörten, dass nur Mädchen die Riemerschmid-Schule besuchen können. "Das mag vielen antiquiert erscheinen, aber wir müssen uns noch immer intensiv der Frauenbildung widmen", sagt Valentiner. Gerade Familien mit Migrationshintergrund verstünden oft nicht, warum ihr Kind nach der Schule eine Berufsausbildung machen solle. "Das mag dann für den Sohn noch in Ordnung sein, die Tochter aber soll heiraten und Kinder bekommen", sagt die Schulleiterin. Mädchen würden bis zur Heirat in der Schule geparkt. "Ausbildung bedeutet Unabhängigkeit", erklärt Valentiner. Das sei vor allem in männlich geprägten Kulturen auch heute noch nicht überall erwünscht. Langsam ändere sich das: "Es ist aber noch viel Arbeit nötig."
Rein statistisch gesehen liegt der Anteil der nicht-deutschen Schülerinnen bei 34 Prozent. Diese verteilen sich jedoch ziemlich ungleich. "In den zweistufigen Klassen haben wir fast ausschließlich Migrantinnen", sagt Valentiner. Die Mädchen kämen nach dem qualifizierenden Mittelschulabschluss an die Frauenstraße. Auch sonst ist die Schülerinnenschaft bunt gemischt. Einige Mädchen lebten in der Innenstadt, andere pendelten bis aus Holzkirchen oder Fürstenfeldbruck. Um allen Mädchen gerecht zu werden, kümmern sich Sozialpädagoginnen und eine Schulpsychologin um die Probleme.
"Wir bilden das ganz normale Leben ab", sagt Valentiner. Sie fühle sich ganz der Tradition der Schule verbunden, die 1901 die erste berufsbildende Einrichtung für Frauen in München war. Schön finde sie es, dass sie jetzt bereits in der sechsten Klasse starten könne. Und vielleicht werde der Schulversuch bei Erfolg ja irgendwann auch auf die fünften Klassen ausgeweitet: Dann könnte die Wirtschaftsschule noch besser mithalten mit Gymnasium und Realschule - da ist Valentiner sich sicher.
Der Elterninformationsabend an der Riemerschmid-Wirtschaftsschule, Frauenstraße 19, findet statt am Montag, 13. März, um 19 Uhr.