Kulturzentrum:Was aus dem Gasteig werden soll

Bau des Gasteig, 1980

Zurück zum Zustand vom August 1980? Damals standen die Rohbauten für Stadtbibliothek und Volkshochschule sowie die Fundamente für die Philharmonie.

(Foto: SZ Photo/Luftbildverlag Hans Bertram)

Sanierung? Abriss? Ein Neubau nur für die Musik? Sicher ist nur: Jede Lösung wird sehr teuer werden. Von mehr als einer halben Milliarde Euro ist schon die Rede.

Von Christian Krügel

Erst im Juli 2015 hatte der Stadtrat beschlossen, das Kulturzentrum am Gasteig aufwendig sanieren und umbauen zu wollen. Größere und bessere Räume für Stadtbücherei und Volkshochschule, eine moderne Haus- und Bühnentechnik, dazu eine topsanierte Philharmonie, deren Akustik dann auch allerhöchsten Ansprüchen genügen wird - das war der Plan. "Für die Münchner Bürger (. . .) wird die Sanierung zu einer sicht- und spürbaren Verbesserung führen", hatte es damals in der Vorlage für den Stadtrat geheißen.

Doch dieses Versprechen an die Bürger hat womöglich keinen Wert mehr. Denn nun wird doch auch die radikale Lösung der Sanierung diskutiert: der Abriss des Gasteigs, den noch vor neun Monaten alle ausgeschlossen hatten.

Was ist seitdem passiert? Und warum denkt die Stadtratsfraktion der Grünen/Rosa Liste sogar schon über den Neubau einer Musikstadt in der Paketposthalle nach? Höchste Zeit für ein paar Fragen und Antworten zu einer höchst verwirrenden Debatte.

Was muss am Gasteig saniert werden?

Das Kulturzentrum aus Klinker, Glas und Beton ist 30 Jahre alt. Die Haus- und Bühnentechnik sind inzwischen veraltet, das Flachdach muss saniert, das ganze Gebäude an moderne Brandschutzanforderungen angepasst, viele Teile des Betons, dazu Fenster und vieles mehr von Grund auf saniert werden.

Und alle wünschen sich, dass bei dieser Gelegenheit auch die Philharmonie komplett umgebaut und endlich zu einem Top-Konzertsaal wird. Der Architekt Manuel Hertz legte 2015 im Auftrag der Münchner Philharmoniker eine umfangreiche Studie vor und schlug einen kleineren, wesentlich kompakteren Saal vor, der sich je nach Musikprogramm umbauen lässt.

Was wird all das kosten?

Das kann noch immer keiner genau sagen. Freigegeben hat der Stadtrat bislang 7,8 Millionen Euro - nur für die dringendsten Baumaßnahmen, ohne die der Gasteig sofort schließen müsste. Allein für die unumgängliche Grundsanierung und die Anpassung an neue Vorschriften werden darüber hinaus an die 270 Millionen Euro veranschlagt.

Der Umbau der Philharmonie und der Stadtbücherei und die Modernisierung der Säle und Räume kommt leicht noch einmal auf mindestens 200 Millionen Euro. Hinzu kommen Kosten für Ausweichquartiere, etwa für die Stadtbücherei, vor allem aber für die Münchner Philharmoniker und die anderen Orchester, die derzeit den Gasteig nutzen. Eine halbe Milliarde muss die Stadt also mindestens veranschlagen - und die meisten Stadträte gehen inzwischen davon aus, dass das noch lange nicht reicht.

Derzeit erarbeitet eine Arbeitsgruppe, genannt "Team Zukunft", im Auftrag des zuständigen Wirtschaftsreferats eine Raum- und Nutzungsanalyse. Auf deren Basis sollen dann dem Stadtrat mehrere Um- und Ausbauvarianten mit Kostenkalkulationen vorgelegt werden. Eigentlich sollten diese Arbeiten in diesem Jahr abgeschlossen sein und im März 2017 ein finales Konzept vorgelegt werden.

Doch die Prüfung des Abrisses und der Grünen-Idee eines Auszugs der Musik aus dem Gasteig könnte das weiter verzögern. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) teilte am Freitag mit: "Wir haben vereinbart, in der ersten Jahreshälfte 2017 eine Grundsatzentscheidung zu treffen."

Warum wird jetzt auch Abriss und Neubau wieder erwogen?

OB Reiter hatte diese Variante bereits kurz nach seinem Amtsantritt überprüfen lassen wollen. Im Juli 2015 war das aber für den Stadtrat kein Thema mehr. Dann zeichnete sich im Spätsommer ab, dass sich die Finanzlage der Stadt in den kommenden Jahren dramatisch verschlechtern könnte. Reiter setzte deshalb eine interfraktionelle Arbeitsgruppe ein, die geplante Kosten und Investitionen überprüfen sollte - so auch die teuerste Baustelle Münchens, die Gasteig-Sanierung.

Im Spätherbst besuchte zudem der Kulturausschuss die neue Philharmonie in Paris. Dort wurden für insgesamt 320 Millionen Euro nicht nur ein Konzertsaal, sondern auch noch Übungs- und Ausstellungsräume geschaffen. Vielen Stadträten habe das die Augen geöffnet, berichtet Grünen-Fraktionschef Florian Roth: Ein Neubau kann billiger und besser werden als eine Sanierung im Bestand. So gilt nun wieder Reiters Devise: "Alle denkbaren Varianten werden durchgerechnet" - auch der Abriss.

Warum wollen die Grünen eine Musikstadt in der Paketposthalle bauen?

Die Idee stammt von einer Gruppe um den Anwalt Josef Nachmann, die Landschaftsarchitektin Andrea Gebhard und den Architekten Joachim Jürke: In die denkmalgeschützte riesige Paketposthalle an der Friedenheimer Brücke könnten mehrere Konzertsäle, Übungsräume für die Musikhochschule und Ausstellungsflächen eingebaut werden.

Das Projekt unter dem Namen "Die Resonanz" verfolgte die Gruppe mit so viel Verve, dass sie mit der Deutschen Post sogar schon erfolgreich über die Absiedlung des Briefverteilzentrums nach Germering verhandelt hatte. Doch der Plan, dem Freistaat "Die Resonanz" für dessen Philharmonie-Projekt für die BR-Orchester zu verkaufen, platzte im Dezember: Der neue Konzertsaal soll nun im Werksviertel am Ostbahnhof realisiert werden.

Die Grünen hatten sich aber immer schon für die Paketposthalle begeistert. Allen voran Stadträtin Anna Hanusch, die zugleich Vorsitzende des Bezirksausschusses Neuhausen-Nymphenburg ist: Für sie könnte die Musikstadt helfen, das neue Viertel am Hirschgarten aufzuwerten und einen "städtebaulichen Kontrapunkt" zur Innenstadt zu setzen.

Was könnte das Projekt für den Gasteig bedeuten?

Die Grünen stellen sich vor, Philharmonie und alle Räume für Musik vom Gasteig nach Neuhausen zu verlegen, wo eine "umfassende Musikstadt München" entstehen könnte, die Klassik, moderne und Pop-Musik vereinen könnten. Im alten Kulturzentrum hätte man dann mehr Platz und Möglichkeiten, etwa für Stadtbibliothek und Volkshochschule.

"Das müsste nicht unbedingt mit einem völligen Abriss des Gasteigs einhergehen, sondern wäre auch mit Varianten wie Umnutzung, Umbau oder Teilabriss vereinbar", heißt es in einem Antrag der Fraktion. Bürgermeister Josef Schmid, der als Wirtschaftsreferent für den Gasteig zuständig ist, hält die Idee für kulturpolitisch höchst fragwürdig. Der Gasteig sei europaweit als Kulturzentrum anerkannt, weil er alle Sparten vereine. Jetzt die Musik herauszulösen, würde die Abkehr von einer bewährten Lösung bedeuten.

Was würde die Musikstadt kosten?

Das ist ähnlich schwer zu kalkulieren wie die Gasteig-Sanierung. Der Freistaat hatte das Projekt verworfen, weil Experten allein die Kosten für Erwerb und Sanierung der Halle und des Daches auf 80 bis 115 Millionen Euro veranschlagt hatten. Hinzu kommen die Baukosten für die Säle - und womöglich in 30 Jahren ein dreistelliger Millionenbetrag für die Grundsanierung der Betonkonstruktin Halle.

Die Initiatoren der "Resonanz" wiesen diese Kalkulation stets als viel zu hoch zurück. Doch Bürgermeister Schmid und OB Reiter warnen unisono vor einem "völlig unkalkulierbaren Großprojekt" - zusätzlich zur Gasteig-Sanierung. Grünen-Fraktionschef Roth sagt: "Das wird kein Sparprogramm, das ist klar." Aber es gehe um eine einmalige Chance für die gesamte Münchner Musikszene.

Die "Resonanz"-Gruppe will sich dazu derzeit nicht äußern: Die Initiative sei von der Stadtratsfraktion der Grünen ausgegangen, es habe Gespräche mit den Stadträten gegeben, mehr gebe es derzeit nicht zu sagen, erklärte eine Sprecherin gegenüber der SZ.

Was bedeutet all das für die Münchner Philharmoniker?

Womöglich nichts Gutes. Derzeit sucht Intendant Paul Müller eine Ausweichspielstätte, in der die rund 80 Konzerte für die 16000 Abonnenten während der Gasteig-Sanierung stattfinden könnten. Eigentlich sollte darüber bis Mitte des Jahres entschieden sein. Am weitesten gediehen sind die Überlegungen, das alte Heizkraftwerk in Aubing umzubauen, das den Besitzern der Allguth-Tankstellen gehört.

Die Idee dürfte die Stadt aber auch einen hohen Millionenbetrag kosten. Deshalb wünschen sich die Grünen, dass schnell in der Paketposthalle gebaut wird und die Philharmoniker gar kein Interimsquartier brauchen. Die Zeit läuft allerdings dagegen: Spätestens 2020 sollte die Gasteig-Sanierung beginnen - so schnell dürfte die "Musikstadt" aber nicht fertig werden.

Welche Lösung ist am wahrscheinlichsten?

Ein Abriss des Gasteigs ist technisch nicht so einfach und gewiss auch nicht billig. Zudem hat die Stadt das Kulturzentrum noch gar nicht abbezahlt: Der Leasingvertrag läuft noch mehr als zehn Jahre. Deshalb scheint wahrscheinlicher, dass sich der Stadtrat doch für eine Sanierung entscheidet, aber in deutlich abgespeckter Form. Das könnte die Stadtbibliothek treffen, die eigentlich erweitern wollte, und erst recht die Umbaupläne der Philharmonie.

Aus dem Stadtrat heißt es zudem, dass die Philharmoniker womöglich auf ihr Interimsquartier verzichten müssen. Wenn der Konzertsaal des Freistaats im Werksviertel wirklich bis 2021 fertig werde, müssten sich halt Philharmoniker und BR-Orchester die Spielstätte einige Jahre lang teilen - für das städtische Orchester eine inakzeptable Lösung. Denn dann wäre wohl nur ein Bruchteil der Abo-Konzerte möglich und auch der Verbleib von Chefdirigent Valery Gergiev fraglich: Sein Vertrag läuft bis 2020 - dann sollte er eigentlich eine runderneuerte Philharmonie bekommen.

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