Süddeutsche Zeitung

Kulturzentrum:So soll der neue Bahnwärter Thiel werden

Neben dem Viehhof plant Veranstalter Daniel Hahn einen ganzen Kosmos rund um den Club: Mit Partys, Lesungen, Ateliers, Probenräumen, Kino - und einem echten Bahnwärterhaus.

Von Michael Zirnstein

Die einen sehen nur Ruinen, beschmierte Mauern, Gitterzäune, bröckelnde Betonrampen, Unkraut und Müll. Für Daniel Hahn und seine Mitstreiter ist die ehemalige Gleisanlage auf dem alten Viehhof das gelobte Land: "Ich habe das Gefühl, dass wir hier endlich unseren Traum verwirklichen können: ein Gelände mit einer Mischung aus Arbeitsplätzen, Werkstätten und kulturellem Treffpunkt."

Wenn es nach Hahn geht, könnte hier bald nicht nur sein selbstgebasteltes Kulturzentrum Bahnwärter Thiel unweit seines letzten Standorts eine neue Heimat finden. Es könnten sich "50 unkommerzielle, junge Projekte" ansiedeln. Fünf Jahre lang könnten sie ihre Idee umsetzen, solange gilt der Mietvertrag, den der 26-Jährige mit dem Kommunalreferat ausgehandelt hat.

Eigentlich hat Hahn gerade eine andere Baustelle: die MS Utting. Den ehemaligen Ausflugsdampfer vom Ammersee auf eine Eisenbahnbrücke in Sendling zu stellen und als Ort für Kultur und Gastronomie herzurichten, hat ihm und München zwar weithin Aufmerksamkeit beschert. Das aberwitzige Projekt erwies sich aber als viel anspruchsvoller und teurer als angenommen. Viel länger als gedacht sei man schon am Werkeln, auf einen Termin zu Eröffnung mag sich Hahn gar nicht mehr festlegen. Aber die größten Brocken seien geschafft, jetzt gehe alles viel schneller voran auf dem Trockendock. "Ich bin heilfroh, dass ich das gemacht habe", sagt Hahn.

Dabei ist ihm die Utting nur dazwischen gekommen. Eigentlich ist er seit einem Jahr mit seinem Herzensprojekt beschäftigt: Jenes Gelände urbar zu machen, auf dem er sich schon als Jugendlicher verbotenerweise herumgetrieben hat. Rechts vom südlichen Tor, wo früher das Vieh für die Schlachtereien aus den Waggons getrieben wurde, gibt es jetzt noch viele Rampen, Gleisbetten und Verhau. Zuerst dachte die Stadt daran, das Areal als Baustelleneinrichtung zu nutzen, wenn von 2018 an das neue Volkstheater auf dem Viehhof errichtet wird. Doch anscheinend ist die Absturz- und Verletzungsgefahr bei all den Gräben zu hoch. Als Hahn davon Wind bekam, bewarb er sich sofort um das Gelände. Und er erhielt den Zuschlag - unter der Voraussetzung, ein Konzept für die Zwischennutzung vorzulegen.

Das hat er nun getan: Kernstück soll wieder der dreieckige ehemalige Kunstpavillon des Lenbachhauses werden, in den nächsten Tagen beginnt der Aufbau. Ob auch der MAN-Schienenbus, der gerade vor der Film-Hochschule Platz für Bar und Kultur bietet, dazukommen soll, steht noch nicht fest. "Er ist auf seine alten Tage sehr oft umgezogen, das tut ihm nicht gut", sagt der Kuriositätensammler Hahn.

Dafür hat er einige Güterwaggons und Eisenbahnen in Aussicht, zum Beispiel eine alte Münchner Trambahn. Zudem will Hahn eine Gebäuderuine - "ein echtes altes Bahnwärterhaus!" - wieder mit Dach, Türen und Fenstern bestücken und Frachtcontainer, die dort eh schon von der letzten Bahnwärter-Saison lagern, zwischen den Rampen versenken.

So soll ein "pulsierender Kreativkosmos" entstehen. Wie gehabt mit Partys, Lesungen und Konzerten, und wegen der längeren Planbarkeit auch mit einem festen Theater und einem Programmkino. Aber vor allem wollen Hahn und sein Kulturverein Wannda auch anderen Kreativen Raum vermieten für Ateliers, Probenräume und mehr. Die Container soll man auch zum Einkaufspreis erwerben können, um sie nach eigenen Wünschen einzurichten und nach den fünf Jahren so mitnehmen zu können. So lange soll das Gelände um einen Marktplatz herum nach Hahns Vorstellungen "zum belebten Treffpunkt im Viertel werden".

Die jetzigen Nutzer des Areals möchte er einbinden: Das sind zum einen die Mieter der Hochbeete des Südgartens, zum anderen die Graffiti-Sprüher, die die Stadt dort duldet. Doch in der Szene regt sich - laut Bericht des Radiosenders "Puls" - Widerstand gegen Hahns "Kommerzkultur". Die Szene sei divers und in sich gespalten, sagt Hahn, es sei schwierig, alle hinter sich zu bringen. Aber einige Sprüher seien schon eingebunden in das Projekt und wollen Hahns Angebot annehmen, Wände und Container zu gestalten - nun völlig legal.

Noch gibt es viel zu tun: Für einige feste Bauten fehlt noch die Genehmigung; auf eigene Kosten muss Hahn Hunderte Meter Abwasserkanal, Stromanschluss und ein "fortschrittliches Heizungssystem" installieren. Und auch der Bezirksausschuss muss noch überzeugt werden. Vorsitzender Alexander Miklosky (Rosa Liste) freut sich nach Vorgesprächen mit Hahn als "verlässlichem und agilen Partner" aber schon auf eine solche "Belebung des Viehhofs".

Auch wenn Hahn gerade vor Aufregung kaum schlafen könne, sein Traum vom eigenen Kreativquartier könnte wahrwerden. Womit er wieder einmal beweisen würde, was mit Eigeninitiative in München gedeihen kann: "Wir zeigen, dass wir es auch selbst können, wenn wir nur Brachflächen bekommen."

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SZ vom 12.08.2017/ebri
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