Süddeutsche Zeitung

Kulturtage:Hasenbergler Farbenlehre

Bio-bairische Sprachtraditionalisten, albanische Volkstanzgruppen oder performende Klofrauen: Bei den Kulturtagen zeigen sich das Viertel und die benachbarten Stadtteile in all ihrer kulturellen Vielfalt

Von Jerzy Sobotta, Hasenbergl

Fast verlassen ist der Platz vor dem Kulturzentrum 2411. Eine große Bühne hätte hier eigentlich stehen sollen, die die ganze Kreuzung beschallt und die Passanten in Scharen anzieht. Stattdessen sieht man nur ein kleines Kinderkarussell, das still im Regen steht. Das Wetter hat nicht mitgespielt bei den Kulturtagen, die vom Freitag bis Sonntag im Münchner Norden stattgefunden haben.

Doch zumindest den Kindern hat der graue Himmel wenig ausgemacht: Einige rennen schreiend und lachend herbei, schwingen sich auf einen der Tiger, Elefanten oder Eisbären, während ein Mann mit einer Handkurbel das Karussell in Bewegung bringt. Die Eltern haben sich unter einer Zeltplane verkrochen. Ein Vater schlürft einen Kaffee und schaut erst hoch zu den Regenwolken, dann sehnsüchtig zum Kuchenstand, der im Warmen hinter den Glastüren des Kulturzentrums steht. Die Feier findet also drinnen statt. Bands spielen im Dritten Stock. Doch bis auf eingefleischte Fans haben sich am Samstagnachmittag nicht allzu viele Zuschauer eingefunden. Während sich die drei Rocker von Homeless Bernie's Boogie Nirvana gerade auf der Bühne einspielen und dabei ihre aschgrauen Mähnen zum Takt des Bluesrocks schwingen, verlässt eine Gruppe Jugendlicher den Backstagebereich. Ein Mädchen trägt ein weißes Kleid mit roter Schürze: traditionelle albanische Tracht. "Wir zeigen hier unsere Kultur", sagt Florentina Thaqi, die gerade noch auf der Bühne stand. Zugeschaut hat der Fünfzehnjährigen ihr Bruder Florian, der auch Mitglied im albanischen Kulturverein ist. Schon als Kind seien sie von ihren Eltern angemeldet worden, erzählen sie. Nicht nur albanische Tänze gab es in den Mittagsstunden, sondern auch serbische und ungarische von anderen Kulturvereinen.

Im Erdgeschoss stehen drei ältere Herren in weiß-blau gestreiften Hemden und Janker an einem Tisch und unterhalten sich auf bairisch. Einer trägt einen Filzhut, in dem eine große, weiße Feder steckt, ein anderer spielt Gitarre und singt. Es ist der Tisch des Fördervereins für Bairische Sprache, an dem ein eigens entwickelter Test zur Überprüfung der heimischen Mundartkenntnisse ausliegt. Wer nicht weiß was "Bambsn" oder "Kinaschnaggler" sind, der wird von einer Frau in Tracht freundlich auf die Vereinszeitung verwiesen, in der auch über Bairischkurse für Migranten berichtet wird. Eine Gruppe Kinder, die sichtbar nicht bio-bairisch ist, lässt die Folklore unbeeindruckt: "Ich lern' lieber Spanisch", ruft ein Junge frech herüber. Am Nebentisch sitzt der fünfjährige Homer, der unter Anleitung von Mallehrer Martin Wagner mit Aquarellfarben einen Raubvogel gemalt hat. Gegenüber lässt sich ein Mädchen mit Hautfarbe eine Meerjungfrau auf den Arm malen.

Zuzana und Robert Erby stehen im hinteren Teil der Stadtbücherei auf einer Bühne. "Machen Sie keinen Zirkus, ich mache Theater!", ruft die Schauspielerin ihrem Partner entgegen. Der träumt, er sei ein Zirkusdirektor und stehe mitten in der Manege. Während sich die beiden mit slowakischem Akzent necken, schauen drei Dutzend Kinder im Publikum gespannt zu und lachen. Nach der Aufführung des "Clowntheaters ohne Clowns" strahlt die zweijährige Sandra - und auch ihrer Mutter, Rana Jalal, hat die Vorstellung gut gefallen.

Der zweite Stock erinnert an eine Messe: Vereine und soziale Einrichtungen sind gekommen und informieren über ihre Arbeit. Das städtische Gesundheitsreferat hat ein Glücksrad aufgebaut, an dem es Äpfel und Birnen zu gewinnen gibt. Die Caritas zeigt, wie man Fahrradschläuche repariert, und am Stand der Diakonie hört man lautes Hämmern an einer Werkbank. Vor den Toiletten sitzen zwei stark geschminkte Damen in pinker und türkiser Weste. Sie haben ein Tischchen aufgebaut, auf dem es aussieht wie auf dem Trödelmarkt: Rasierschaum, Schuhcreme, Brillenputztücher und allerlei Kleinkram verschenken sie. Auch einen Wischmopp haben die "WC-Perlen" mitgebracht. Die Klofrauen vom "Theater Pikante" erinnern mit ihrer Kabarett-Performance an einen "gestanden Beruf mit Tradition". Der sei aber mittlerweile fast ausgestorben, seitdem große Konzerne die Toilettenreinigung monopolisiert hätten. Wie er einmal ausgesehen hat, dass zeigen sie jedem, der an ihnen vorbeigeht - ganz gleich, ob er es hören will.

Das Kulturzentrum 2411 war der zentrale, aber bei weitem nicht der einzige Spielort der Kulturtage. Im ganzen Stadtbezirk von der Siedlung Ludwigsfeld bis zur Lerchenau haben die Kulturvereine, Kirchen und Jugendzentren mitgemacht. Filme und Vorträge waren zu sehen, Kabarett und selbst Stadtteilspaziergänge haben trotz miserablen Wetters stattgefunden. Am Freitag etwa schauten sich rund 30 Menschen den vom Abriss bedrohten Eggarten bei einer Führung an. Der Schauspieler Christian K. Schaeffer besang das hundertjährige Bestehen der Lerchenau in der Kirche Sankt Agnes.

Erst in drei Jahren werden die nächsten Kulturtage wieder ins Hasenbergl und in die benachbarten Stadtteile kommen. Auch das Karussell wird dann wieder auf dem Vorplatz des Kulturzentrums stehen - dann aber hoffentlich bei Sonnenschein.

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Quelle:
SZ vom 13.05.2019
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