Süddeutsche Zeitung

Kulturszene:Hat das Atomic Café wirklich schließen müssen?

Ein Dokumentarfilm über den Club lässt alte Emotionen wieder herausbrechen. Und man fragt sich, ob es nicht Aufgabe der Stadt gewesen wäre, sein Ende zu verhindern.

Kommentar von Michael Bremmer

Es werden Tränen fließen. Auch jetzt, zweieinhalb Jahre nach der Schließung des Clubs Atomic Café, trauern viele junge und nicht mehr ganz so junge Münchner. Der Film "This Is Atomic Love", der am Freitag beim Dokumentarfilmfest Premiere feiert, wird diese Emotionen wieder herauskitzeln: Trauer. Aber auch Zorn. 18 Jahre lang wurden an der Neuturmstraße in der Altstadt wilde Partys gefeiert und große Konzerte gespielt; dann wurde der Mietvertrag nicht verlängert, weil in die ehemaligen Club-Räume eine Mode-Kette einziehen sollte. Klamotten findet man jetzt auch - allerdings steht ein großer Teil des ehemaligen Atomic Cafés immer noch leer.

Betrachtet man die leeren Räume, stellt sich eine Frage: Hat das Atomic Café dann wirklich schließen müssen? Und selbst wenn das Ende an dieser Stelle unausweichlich gewesen sein sollte: Wäre es nicht Aufgabe der Stadt gewesen, das Ende dieses Clubs zu verhindern, der weit über die Stadt hinaus, sogar über Deutschland hinaus Werbung für München gemacht hat? Natürlich, auch der Feier-Markt regelt sich selbst. Auch wäre eine finanzielle Förderung für alle anderen Clubs eine Benachteiligung gewesen.

Das ist die eine Seite, die andere: München hat popkulturell nicht wirklich viel vorzuweisen. München steht für Feiern auf dem Oktoberfest und Fußballspiele des FC Bayern München. Die Stadt gibt sich damit zufrieden, ein langweiliges Millionendorf zu sein, Subkultur, ja sogar Popkultur stört hier eher. Dabei hat Bürgermeister Josef Schmid zuletzt selbst bei einer Podiumsdiskussion behauptet, dass München nicht nur für Genusskultur stehen soll, sondern auch für Kulturgenuss, und das - bitte schön - auch über die Klassik hinaus. Schöne Worte, passiert ist nichts.

Dass es auch anders geht, zeigen Politiker der Stadt Hamburg. Auch dort ging es um die Zukunft eines bekannten Live-Clubs. Das Molotow musste ausziehen - nicht wegen der Gentrifizierung, sondern weil das Haus einsturzgefährdet war. Die Stadt selbst übernahm die Initiative und fand neue Räume - für die vorübergehende Nutzung und auch für eine neue Heimat mitten in der Stadt. Aber vielleicht ist St. Pauli halt kein Dorf, sondern eine echte Stadt.

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SZ vom 03.05.2017/eca
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