Internationaler Frauentag:"Der Muttertag ist wesentlich präsenter"

We don´t shut up Kollektiv.

Suzan Çakar (Bildmitte) und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter vom Kollektiv "We won't shut up" auf dem Fußballplatz der Glockenbachwerkstätten.

(Foto: Catherina Hess)

Suzan Çakar hat die Aktionswoche zum Weltfrauentag mitgestaltet. Sie ist überrascht, wie wenig es zu dem Thema in München lange gab.

Interview von Sabine Buchwald

Der Internationale Weltfrauentag geht auf die Initiative der ersten Frauenbewegungen vor mehr als hundert Jahren zurück. Seit 1921 wird der Tag regelmäßig am 8. März gefeiert. In Berlin ist er seit 2019 ein Feiertag. Bis zum 13. März gibt es in München zum Weltfrauentag ein Online-Kulturprogramm mit Lesungen, Konzerten und Gesprächsrunden. Das Motto: "We won't shut up" - wir werden nicht schweigen. Organisiert wird die Woche von sechs Frauen und drei Männern, die zu Nika Music, Holy Fingers und dem Bayerischen Seminar für Politik e.V. gehören. Suzan Çakar arbeitet für diesen Verein und hat die Woche - wie alle anderen - überwiegend in ihrer Freizeit mit vorbereitet.

SZ: Frau Çakar, warum hat es bei uns so lange gedauert, bis sich der 8. März in den Köpfen festgesetzt hat?

Suzan Çakar: Dieses Datum haben viele Menschen hier noch gar nicht in ihrem Hinterkopf. Der Muttertag ist wesentlich präsenter. Als ich vor fünf Jahren von Bielefeld nach München gezogen bin, war ich total überrascht, wie wenig hier dazu läuft. Für mich als Kurdin ist der Weltfrauentag sehr wichtig. In der kurdischen Community ist die Frauenbewegung ziemlich stark.

Alice Schwarzer, die deutsche Oberfeministin, fordert die Abschaffung des Tages. Für sie sei er nur eine "symbolische Schmeichelei". Was antworten Sie Leuten, die sagen: Brauchen wir doch gar nicht?

Der Tag ist eine Möglichkeit, darauf hinzuweisen, dass die Hälfte der Bevölkerung diskriminiert wird. Es gibt kein Land, in dem Mann und Frau komplett gleichberechtigt sind. Und natürlich sollte nicht nur an diesem Tag daran erinnert werden. Es geht um Menschenrechte. Um die zu kämpfen, lohnt es sich immer.

Die Kammerspiele haben nun eine Intendantin und schon gibt es rund um den 8. März eine Veranstaltungsreihe. Wächst in München das Bewusstsein, dass Gleichberechtigung auch gelebt werden muss?

Absolut. Frauenthemen stehen mittlerweile höher im Kurs. Das hat vielleicht mit der zunehmenden Internationalisierung der Gesellschaft zu tun oder auch mit der MeToo-Debatte. Wo die Frauenrechte in Frage gestellt sind, gehen die Frauen auf die Straße - wie etwa in Polen. Wenn wir uns solidarisieren, entsteht eine Bewegung. Das wirkt sich dann auch auf die heimische Gesellschaft aus.

Wie geht es Frauen in München?

Ich fühle mich sicher hier, aber dennoch würde ich nicht nachts alleine an der Isar joggen gehen oder mich im Englischen Garten rumtreiben. Mir ist noch nie etwas Übergriffiges passiert, aber ich denke, das Gefühl der Sicherheit ist nur eine Fassade.

Was müsste sich verbessern?

Ich frage mich selbst, woher meine Ängstlichkeit kommt. Vielleicht wäre eine Plakatkampagne der Stadt sinnvoll. Etwas sichtbar machen wirkt oft Wunder. Man muss die Leute dafür sensibilisieren, dass Frauen mit Angst und auch mit Übergriffen leben müssen. Ich denke da an Cat-Calling, also an plumpe Anmache, die einfach nicht okay ist. Die meisten Männer würden nicht mal einen Gedanken daran verschwenden, ob sie im Dunkeln alleine an die Isar gehen können oder nicht.

Missstände sichtbar machen heißt neue Wege gehen. Ist München zu träge dafür?

Bezogen auf den Weltfrauentag finde ich, dass für eine Weltstadt hier zu wenig passiert. Wir haben mit neun Leuten neben Arbeit und Studium innerhalb von sechs Wochen ein Festival aus dem Boden gestampft. Warum macht das die Stadt nicht selbst? Wir sind für die Förderung sehr dankbar, verstehen Sie das nicht falsch. Aber die Veranstaltungswoche ist nur möglich, weil wir das für sehr wenig Honorar tun. Überhaupt gibt es viel zu wenige Einrichtungen wie die Glockenbachwerkstatt oder das Bellevue di Monaco, wo Integration ein großes Thema ist. Wo es niederschwellige Kulturangebote gibt für alle Bevölkerungsschichten, jung und alt.

Nach welchen Kriterien haben Sie die Veranstaltungen ausgewählt?

Es war uns wichtig, dass trotz Corona möglichst viele Menschen mit dabei sein können. Es gibt Web-Seminare zu Frauen und Musik, zu Frauen und Arbeitsmarkt, Frauen und Kultur. Es wird Lesungen geben, wir werden über Migration, Rassismus und Gewalt an Frauen sprechen. Ich lade mir jeden Nachmittag von 16 bis 16.30 Uhr Gesprächspartnerinnen ein, die motiviert sind, etwas in der Gesellschaft beizutragen. Es wäre gut, wenn wir noch internationaler und jünger wären. Wir wollen ein Netzwerk aufbauen, das übers Jahr trägt. "We won't shut up" soll nun zu München gehören und über die Stadtgrenzen hinaus.

Sind Männer auch angesprochen?

Natürlich, Menschen jeglicher Geschlechtsidentität. Wenn wir Frauen empowern wollen, kann das nur gemeinsam gelingen. Nur bei einer Veranstaltung sind Männer ausgeschlossen: In der geht es darum, sich gegenseitig Mut zu machen und das Selbstbewusstsein zu stärken. Dafür reicht eine Woche im Jahr natürlich nicht, da gebe ich Alice Schwarzer schon recht.

Wie sollte Frau reagieren, wenn ihr neuerdings zum Weltfrauentag gratuliert wird?

Für mich ist das nicht neu. Wir wünschen auf Kurdisch "Jin, Jiyan, Azadî" - Frauen, Leben, Freiheit. Und dazu: einen schönen Weltfrauentag.

Weitere Informationen und Anmeldung zu den Veranstaltungen unter: www.wewontshutup.org

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