Kulturleben in München:Erfolgreich und ein wenig behäbig

Bei Städtevergleichen schneidet München oft gut ab - auch bei einer Studie zur Attraktivität des Kulturlebens. Doch wie gut sind Theater, Film und Architektur hier wirklich? Wo München Spitzenreiter ist und wo die Stadt nur knapp vor Bielefeld liegt.

Von Kritikern des SZ-Feuilletons

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Frauenkirche in München

Quelle: Sven Hoppe/dpa

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Bei vielen Städtevergleichen schneidet München gut ab - zuletzt auch bei einer Studie des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts zur Attraktivität des Kulturlebens. München landet hinter Stuttgart auf Platz zwei vor Köln oder Berlin. Doch können Zahlen das künstlerische Leben einer Metropole tatsächlich abbilden? Wie SZ-Kritiker Münchens Stellung einschätzen.

Architektur: Immerhin vor Bielefeld

Man darf sich nicht wundern: In München sollen ja bekanntermaßen noch immer keine Häuser gebaut werden, die der Frauenkirche Konkurrenz in Sachen Vertikalität machen könnten. Außerdem sollte es, anders als geplant, auch keine experimentelle Werkbundsiedlung geben, die das Wohnen in der Stadt neu definiert hätte. Und wenn irgendjemand mal eine etwas kühne Idee hat, zum Beispiel ein Konzerthaus mitten in der Isar, dann wird er sofort niedergebrüllt von einem Chor der Satten und Saturierten. Von Leuten, die kein Interesse daran haben, dass sich München architektonisch und stadträumlich der Zukunft zuwendet. Leider haben diese Neinneinnein-Menschen auch kein historisches Bewusstsein: Ludwigstraße, Residenz, Englischer Garten - das alles waren einmal tollkühne Projekte. Was übrigens auch für die Frauenkirche gilt. München war einmal mutig, souverän, visionär. Und heute? Heute rangiert München architektonisch und stadträumlich hinter Wolfsburg. Aber noch vor Bielefeld. Ich gratuliere der Stadt dazu. München wird schon bald das erste Museum der Welt sein, in dem man wohnen kann. Wie? Gibt's auch schon, siehe den Film "Nachts im Museum"? Okay, bleiben uns immer noch die Alpen. Die wir aber leider abreißen müssen, weil: höher als erlaubt. Schade eigentlich.

Text: GERHARD MATZIG

Service

Quelle: Constantin/oh

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Film: Ewige Konkurrenz

Wenn es um München als Filmstadt geht, richten sich alle Blicke sofort nach Berlin. Diese ewige Konkurrenz ist fast so alt wie das Kino selbst, und Berlin liegt dabei schon historisch vorn - schließlich war Babelsberg 1912 das erste Filmstudio überhaupt. München zog nach, als es einen künftigen Filmgiganten in die Bavaria Studios lockte: Alfred Hitchcock drehte hier 1925 seinen ersten Film. Heute scheint der Kampf auf den ersten Blick entschieden: Internationale Schwergewichte wie George Clooney, Quentin Tarantino und Tom Cruise scheinen ständig in Berlin abzuhängen und im "Grill Royal" zu feiern, kein trendbewusstes deutsches Jungtalent würde es derzeit wagen, seine Inspiration woanders zu suchen als auf den Partymeilen zwischen Kreuzberg und Mitte. In München dreht unermüdlich noch Dominik Graf, für einen Gleichstand im großen Trendduell reicht das aber natürlich nicht. Eher im Stillen wohnen allerdings auch der Autorenfilmer Bora Dagtekin und sein Star Elyas M'Barek in München, die gerade an der Fortsetzung ihres Monstererfolgs "Fack Ju Göhte" basteln. Die Erwartungen sind enorm, der Druck groß - aber wenn da jetzt nichts schiefgeht, gilt am Ende wohl doch wieder die alte Wowereit-Regel: Sexy & arm in Berlin, zielstrebig & reich in München.

Text: TOBIAS KNIEBE

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Quelle: Stephan Rumpf

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Musik: Am liebsten das Gängige

Das größte Kapital der Klassikstadt München ist ihr Publikum. Diese Menschen sind auf Musik versessen, sie haben oft auch das nötige Großgeld, die durchaus unbescheidenen Eintrittspreise zu bezahlen. Die hiesigen Veranstalter, ob öffentlich oder privat, aber bieten diesem Publikum am liebsten nur das Gängige und längst anderswo Erfolgreiche. Zeitgenössisches wird gern den Spezialreihen Musica Viva und Musiktheaterbiennale, aber auch dem Kammerorchester überlassen, das die interessantesten Programme bietet. Daneben existieren fünf größere Standardorchester, von denen mindestens zwei Weltspitze sind, während ihre Chefdirigenten meist in Russland sozialisiert wurden. Überregional relevante Ensembles für alte oder neue Musik sind nicht zu vermelden, Komponisten von Weltrang genauso wenig. So steht das Musikleben der Stadt voll im Saft, und nur wer mehr als packende Unterhaltung von klassischer Musik erwartet, wird enttäuscht. Die neuesten Tendenzen, die Quer- und Vordenker, die Sperrigen, die Suchenden, all das hat kaum eine Chance. Weil die örtlichen Musikmarktbetreiber so etwas für überflüssig, unverkäuflich, irrelevant halten? Das ist eines der großen Rätsel der Musikstadt München, die seit Jahrhunderten urbayrische Gemütlichkeit pflegt.

Text: REINHARD J.BREMBECK

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Quelle: Stephan Rumpf

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Theater: Absoluter Spitzenreiter

Im Schauspiel hat München allen anderen Städten den Rang abgelaufen, nicht nur in Deutschland, im ganzen deutschsprachigen Raum ist München derzeit die führende Theaterstadt. Mit den Kammerspielen, diesem erst von Frank Baumbauer, dann von Johan Simons für die ästhetischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts bestens aufgestellten Haus, gehörte München in den letzten zehn Jahren ohnehin zur Top-Liga. Seit zuletzt auch das Residenztheater unter Martin Kušej nachgezogen ist, kommt man an der Theaterhauptstadt München nicht mehr vorbei. Das müssen neidvoll auch die Berliner anerkennen, die in Sachen Theater zwar quantitativ besser dastehen, nicht (mehr) aber qualitativ. Beim Berliner Theatertreffen waren im Mai gleich vier Münchner Inszenierungen eingeladen, zwei von den Kammerspielen, zwei vom Resi, während Berlin selbst nur mit einer einzigen vertreten war. Auch sämtliche Preise räumten die Münchner locker ab. Jüngst kam die Kritikerumfrage der Deutschen Bühne heraus, das ist das Magazin des Deutschen Bühnenvereins. Wundert es jemanden, wenn es da heißt: "Die Theaterstadt mit den meisten positiven Nennungen (42) ist München, erst dann folgen Berlin (35) und, mit 18 Stimmen schon ziemlich weit abgeschlagen, Hamburg."

Text: CHRISTINE DÖSSEL

Hugendubel Filiale in München, 2009

Quelle: Robert Haas

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Literatur: Gemütliche Szene

Nach New York ist München die zweitgrößte Verlagsstadt der Welt. C. H. Beck und Hanser, Piper, dtv und die Random-House-Gruppe mit ihren Verlagen wie Luchterhand, Knaus oder DVA haben hier ihren Sitz. Große Literaturpreise wie der Bayerische Literaturpreis oder der Adelbert-von-Chamisso-Preis werden in München verliehen, und die Stadt tut nicht wenig für ihre Autoren. Darüber hinaus gibt es in München wichtige Institutionen wie die Internationale Jugendbibliothek, das Lyrik-Kabinett, das Literaturarchiv der Monacensia und natürlich das Literaturhaus. Buchhandlungen wie Lehmkuhl in Schwabing oder Moths am Isartor tragen genauso zur Lebendigkeit des literarischen Lebens bei wie das Literaturfest, mittlerweile ein fester Bestandteil des hiesigen Kulturkalenders. München ist zweifellos eine Stadt der Literatur, aber sie ist darum noch nicht unbedingt eine der Literaten. Die bizarren Mietpreise unterminieren jede Autorenförderung. Um so mehr freut man sich über diejenigen Schriftsteller, die bleiben, wie Uwe Timm und Hans Pleschinski, Friedrich Ani oder Albert Ostermaier. Die Münchner Literaturszene, sie ist so gemütlich wie die berühmtberüchtigten Leseinseln beim Hugendubel am Marienplatz. Doch selbst der kann sich München nicht mehr leisten.

Text: CHRISTOPHER SCHMIDT

© SZ vom 18.8.2014
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