Süddeutsche Zeitung

Kulturförderung:Der neue Taktgeber

Schon als Bub begeisterte sich Andreas Schiller für den Jazz. Die Liebe hielt ein Leben lang. Jetzt hat der ehemalige Manager die Jazz-Stiftung München gegründet, ein deutschlandweit einzigartiges Modell, das Impulse für die Szene verspricht

Von Oliver Hochkeppel

Wenn man nach einer ordentlichen Karriere der materiellen Sorgen ledig ist, kann man sich auch über ein finanzielles wie ideelles Vermächtnis Gedanken machen. Der 79-jährige Andreas Schiller hat es als ehemaliges Vorstandsmitglied einer großen Versicherung so weit gebracht. Und setzt jetzt, was er materiell nicht mehr brauchen wird, für eine seiner größten Leidenschaften ein, deren Gegenstand das auch gut nötig hat: Schiller hat die Jazz-Stiftung München gegründet, deren Zweck laut Satzung "die Förderung der Kunst und Kultur in München insbesondere auf dem Gebiet der Jazz-Musik sowie die Beschaffung von Mitteln zur Förderung dieses Zweckes" ist.

Die Liebe zum Jazz hat sich bei Schiller früh entwickelt: "Das begann damit, dass ich mit 13 einen Klassenkameraden im Max-Gymnasium hatte, der schon eine große Jazz-Plattensammlung vor allem mit Ragtime hatte, was damals Mitte der Fünfziger generell, aber erst recht in diesem Alter völlig ungewöhnlich war. Bei dem war ich oft zu Besuch, und der hat mich sozusagen angefüttert." Schnell entwickelte er sich weiter: "Ich habe meine Hörgewohnheiten umgestellt und die ganze Jazzgeschichte durchlaufen, von Ragtime und Blues über New Orleans Jazz zu Swing. In der 'Nachteule' hab' ich mit 16 zum ersten Mal Modern Jazz gehört. Das werde ich nie vergessen." Der Besitzer der "Nachteule", ein Touristenladen, wo getanzt wurde, war nicht nur ein Jazzfreund, sondern hatte auch ein Herz für junge Fans. Eigentlich durfte man mit 16 noch gar nicht rein, aber sofern sie ein Getränk orderten, wurden Schiller und seine Freunde eingelassen.

Bebop wurde dann Schillers Musik, und ist es bis heute geblieben. "Ich bin aber offen für alles", sagt er, "wenn ich auch mit manchem Neuen Schwierigkeiten habe, wie ich zugeben muss. Genau wie in der Oper, die ich auch sehr liebe." Sogar aktiv wurde er damals als Jugendlicher, er lernte - nach Gehör, nicht nach Noten - Gitarre und spielte in einer Skiffle-Group, die sogar fast den Hirmer-Musik-Wettbewerb gewonnen hätte. Über ein halbes Jahr war er danach Rhythmusgitarrist in der semiprofessionellen Ballhouse Jazzband von Sepp Dachsel. Es hätte also vielleicht ein Musiker aus ihm werden können, wäre nicht passiert, was Schiller "ein Trauma meines Lebens" nennt. Weil es am Max-Gymnasium mit den Noten ziemlich bergab ging, verbrachte er die letzten zwei Schuljahre in Ingolstadt, und nach dem Abitur verpflichtete er sich als Zeitsoldat für drei Jahre zur Bundeswehr. "So war ich fünf wahrscheinlich entscheidende Jahre von der Jazzszene völlig abgenabelt", erinnert er sich. Immerhin schuf er sich die finanzielle Basis für sein Jurastudium und eine erfolgreiche Berufslaufbahn.

Die Affinität zum Jazz hat ihn aber nie verlassen. "Ich hatte offenbar ein Ohr dafür, was eben leider bis heute nur diese berühmten drei Prozent haben, weshalb der Jazz trotz all seiner Qualitäten in seiner Nische steckt." Immer war Schiller ein fleißiger Konzertgänger, schon zu Studienzeiten im Schwabinger "Domicile", später wurde er auch ein ehrenamtlicher Förderer. Sieben Jahre lang saß er von 1997 an im Vorstand des "Fördervereins für Jazz und Malerei", der die Unterfahrt trägt, davon vier Jahre als Vorsitzender, in der Zeit, als der schwierige Umzug ins Einstein moderiert werden musste. Bis heute ist Schiller dem Club eng verbunden. Und seit ein paar Jahren stiftet er beim "Jungen Münchner Jazzpreis" einen Solistenpreis.

Für den großen Schlag, dem Jazz jetzt institutionell mit einer Stiftung zu helfen, brauchte es aber noch andere, über die reine kulturelle Leidenschaft hinausgehende Einsichten. "Je länger ich mich mit dem Jazz beschäftigte", sagt er, "desto klarer wurde mir seine gesellschaftliche Bedeutung: Inzwischen sehe ich den Jazz als die Kunstform an, die mit am besten unserer freiheitlichen, demokratischen, weltoffenen Gesellschaft entspricht. Da sind wichtige Elemente abgebildet: Individualität eingebunden in die Gemeinschaft - so etwas wie eine Jam Session, wo auf einer bestimmten Basis jeder mit allen anderen spielen kann, gibt es in keiner anderen Kunstform. Dann Kreativität, Vielseitigkeit und Fähigkeit zur Improvisation, nicht zuletzt das Tempo, das auch zu unserem Leben gehört." Außerdem wuchs mit dem Alter der Wunsch, das Erarbeitete sinnvoll einzusetzen. Was nicht zuletzt Schillers Wohnung in der Widenmayerstraße an der Isar betrifft, die er in den Achtzigern kaufte, und in der seit mehr als 20 Jahren auch einen Privatsalon führt, bei dem Vortragende zu allen möglichen Themen von Kunst bis Wirtschaft und Politik zu Gast sind. "Diese Wohnung hat eine Wertentwicklung genommen, die mich selber umgehauen hat." Diesen Wertzuwachs setzt er nun in seine Stiftung ein, auch aus der Überzeugung heraus, dass jeder etwas für unser Gemeinwesen tun muss. "Man kann dann in zwei Richtungen gehen, in die kulturelle oder soziale. Bei einer Jazz-Stiftung ist das Schöne, das sie beides vereint, das kann ich aus meiner langjährigen Erfahrung mit Jazzmusikern sagen: Selbst bei den besten ist es oft auf Kante genäht." In etwas Bestehendes einzusteigen, fiel aus: "Ich habe in Deutschland keine reine Jazz-Stiftung gefunden." Er musste also selbst gründen, wobei er sich bewusst für ein Münchner Modell entschied: "Ich hatte in dieser Stadt ein wunderschönes Leben, profitiere von all den Möglichkeiten, also möchte ich auch etwas zurückgeben."

Das soll laut Satzung durch die "Gewährung von Zuschüssen an steuerbegünstigte Körperschaften oder juristische Personen des öffentlichen Rechts in München zur Förderung der Jazz-Musik" geschehen, insbesondere mit dem Ziel, "moderne, zeitgenössische, aber auch in Ausnahmen klassische Jazz-Musik einem möglichst großen Publikum zugänglich zu machen." Um den Status der Gemeinnützigkeit zu erhalten, dürfen Gelder nicht direkt an einzelne Bands oder Musiker ausgereicht werden, sondern nur an gemeinnützige Kulturvereine wie dem "Förderkreis Jazz und Malerei München" oder dem "Münchner Verein zur Förderung von Jazz - mucjazz". Trotzdem werden die Zuschüsse am Ende direkt durchschlagen, als Förderbeispiele sind genannt: Zuschüsse zu Künstlerinnen- und Künstlergagen einzelner Konzerte; zur Produktion von Jazz auf Tonträgern, auf oder in modernen Medien; zur technischen Einrichtung von Spielstätten, die in erster Linie Jazz aufführen; zu Workshops oder Masterclasses; schließlich für Projekte zur Nachwuchsförderung. Auch ein Traum von Schiller findet sich unter den Satzungszielen: die Unterstützung eines möglichen Jazz-Festivals in München, das nach der Stiftungserrichtung ins Leben gerufen wird.

Ein großer Glücksfall für den Münchner Jazz also, zumal der Grundstock der Stiftung ein höherer Betrag ist als die mehr als ordentliche jährliche Fördersumme der Stadt und ein Vielfaches der Almosen, die der Freistaat pro Jahr an die Szene verteilt. Als Jurist wusste Schiller, wie komplex die Angelegenheit würde, aber mit Hilfe der städtischen Stiftungsberatung beim Sozialreferat durch Evi Eder und dann beim Kulturreferat durch Heike Lies wurde das sinnvollste Modell zusammengebastelt, wie Schiller erklärt: "Es ist eine Hybridstiftung, mit einem Verbrauchskapital und einem Grundstockkapital, das im Lauf der Jahre umgewandelt werden kann. Denn am Ende soll das Geld auch ausgegeben werden und letztlich wirklich den Musikern zugute kommen."

Die Stiftung kann loslegen, alle Formalitäten sind erledigt: Zunächst hat Schiller das Stiftungskapital eingezahlt und am 20. Mai das Stiftungsgeschäft mit Satzung errichtet. Am 17. Juni hat der Stadtrat die Stiftung übernommen, am 7. Juli wurde sie von der Regierung von Oberbayern als rechtsfähig staatlich anerkannt, kurz danach hat das Kulturreferat als Treuhänderin die Verwaltung übernommen und ein Kuratorium eingesetzt, vor wenigen Tagen schließlich hat das Finanzamt die Gemeinnützigkeit anerkannt. Letzteres war wichtig, weil Schiller ausdrücklich zu Spenden und Beistiftungen anregen will. "Zwei Mitstifter hab' ich schon an der Hand", berichtet er. Fehlt nur noch die Außendarstellung. Bereits am Freitag stellt Schiller mit Kulturreferent Anton Biebl die Stiftung in der Unterfahrt vor. Die ersten Früchte sind am 27. September zu bewundern: Beim von der Stiftung unterstützten Doppelkonzert der Unterfahrt von LBT und der Jazzrausch Bigband im Olympiastadion.

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Quelle:
SZ vom 03.09.2020
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