Kultur in der Krise:Lobbyarbeit selbst gemacht

News conference in Berlin calling for the release of activist Julian Assange

Gerhart Baum.

(Foto: Hannibal Hanschke)

Bayern soll einen Kulturrat erhalten. NRW hat den schon lange. Was kann es davon lernen?

Von Susanne Hermanski

Die Kultur hat eben keine Lobby! Diesen Stoßseufzer hat man in den vergangenen Monaten oft gehört, wenn es galt zu beklagen, dass andere Branchen in Zeiten der Pandemie schneller mit maßgeschneiderten Hilfspaketen versorgt worden sind - und gemeint sind jetzt mal nicht die Lkw-Ladungen von provisionsreich gedealten Paletten mit Masken zu 9,90 das Stück. Was der Kultur fehlt, sind nicht unbedingt Lobbyisten, die unentwegt bei Abgeordneten antichambrieren. Was ihr abgeht, sind Bindeglieder, die es schaffen, die Interessen und Bedürfnisse der Kulturschaffenden zu bündeln und diese klar zu formulieren. Schwurbelfrei, unemotional.

Als Robert Brannekämper, selbst Landtagsmitglied und Vorsitzender des CSU-Arbeitskreises für Wissenschaft und Kunst in dieser Woche von der Staatsregierung forderte, "Bayern soll einen Kulturrat erhalten!", fiel dies augenblicklich auf fruchtbaren Boden. Minister Bernd Sibler "begrüßte" die Idee. Doch was oder wer genau ist so ein "Kulturrat"?

In NRW etwa gibt es ein solches Gremium bereits seit 25 Jahren. Dessen Vorsitzender ist seit zehn Jahren Gerhart Baum (FDP), ehemals Innenminister "und damit auch Kunstminister gewesen", betont der heute 88-Jährige. In diesen Tagen ist er von früh bis spät im Einsatz, um in der Mission von Künstlern und Kreativen über Hilfsprogramme, Fördergeld und Co zu verhandeln. Ein Honoratioren-Verein ist so ein Kulturrat trotzdem nicht. "Es handelt sich dabei eher um eine Art Dachverband von schon bestehenden Künstlerverbänden", erklärt Gerhart Baum.

Häufig sei der stärkste Verband in einem Bundesland der Musikrat. Ihm käme dementsprechend eine Schlüsselfunktion beim Gründen von Kulturräten zu. "Und wenn ich das richtig sehe, ist auch in Bayern der Musikrat von Einfluss", sagt Baum. Der Präsident des Bayerischen Musikrats war jahrelang Thomas Goppel (CSU), Ex-Kunstminister, 2020 wurde er von Marcel Huber (CSU) abgelöst, ebenfalls Ex-Minister. Ihn wolle Baum nun zeitnah einladen, um ihn zu ermuntern, in Richtung Kulturrat aktiv zu werden.

Wichtig sei es jedoch, den Kulturrat eines Landes nicht als parteipolitische Organisation zu verstehen, betont Baum. Die Verbände würden schließlich die Zivilgesellschaft vertreten und dies parteipolitisch unabhängig. Dass die Kultur in der Tat eine Lobby brauche, habe Baum selber in seiner Zeit als Kulturminister am besten verstanden, "denn ich brauchte eine Lobby gegen die vielen anderen politschen Interessen", die um dieselben Gelder konkurrierten. Im Bund habe sich seit jener Zeit aber viel geändert, da habe die Kultur mittlerweile Ihre Lobby. Auf Ebene der Länder wachse in den vergangenen Jahren das Bewusstsein dafür erst langsam. Und das obwohl die Kulturhoheit der Länder eine der letzten Bastionen des Föderalismus in Deutschland ist. Immerhin gibt es seit 2019 die Kultur-Ministerkonferenz, in der sich zweimal pro Jahr die Minister der Länder austauschen. Doch die Länder müssten die Kulturpolitik "auch leben! In der Pandemie haben sie die Verantwortung oft auf den Bund geschoben", sagt Baum. In NRW habe man unterdessen eine klare Stipendienförderung für Künstler aufgelegt und alle kulturpolitischen Aktivitäten des Landes in einem Kulturgesetzbuch zusammengefasst. Es enthält alle für Kunst und Kultur relevanten Rechtsvorschriften erstmals in einem Buch, transparent und übersichtlich.

Bei aller Freude an der Vereinfachung ist Baum dennoch ein entschiedener Gegner der Vereinheitlichung der Kultur. "Ich bin gegen einen Bundeskulturminister!" Das sagt er entschieden, auch wenn Monika Grütters, die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien darauf hinarbeite, eine solche Position zu etablieren. Doch apropos "gelebte Kultur". Auf die Frage, ob Baum den Eindruck hat, es gebe im reichen Kulturland Deutschland tendenziell immer weniger Politiker, die sich originär auch für die Kultur interessieren, lacht er nicht. "Das deckt sich mit meinem Eindruck. Nehmen Sie die Donaueschinger Musiktage", sagt er - der auch als Fan von etwas so Forderndem wie der Neuen Musik bekannt ist - "auf denen bin ich immer der einzige Politiker".

Robert Brannekämper und die CSU-Landtagsfraktion haben nun immerhin aus den Wirren zu Anfang der Pandemie um für Künstler untaugliche Soloselbstständigen-Programme und den Schutz privater Spielstätten, ihre Konsequenz gezogen. Der vorgeschlagene Kulturrat soll "jeweils die aktuelle Lage und die Bedürfnisse der Künstlerinnen und Künstler erörtern und Fehlentwicklungen zeitnah entgegenwirken". Er soll sich beispielsweise auch mit der Atelierversorgung in ganz Bayern befassen sowie "den künstlerischen Transfer in die Gesellschaft sicherstellen". Die genaue Zusammensetzung des Gremiums und welche Sparten und Institutionen darin vertreten sein sollen, will die CSU "zeitnah im Dialog mit Ministerium und Verbänden diskutieren".

Fragt man in Bayerns Kunstministerium nach dem Timing für die Gründung des Rats, sagt Bernd Sibler: "Nach meiner Überzeugung müssen die Initiative dazu, die Ausgestaltung sowie die relevanten Inhalte von den betroffenen Verbänden und den Künstlerinnen und Künstlern selbst ausgehen." Und schon bei der Frage, wie man das Kind denn nennen will, weicht Bernd Sibler von Gerhart Baum und Brannekämper ab.

Sibler spricht lieber von einem "Kulturforum" als von einem Rat, die Verwechslungsgefahr mit dem ebenfalls existierenden Deutschen Kulturrat erschiene zu groß, sagen seine Beamten im Haus. Bei der Konzeption der unterschiedlichen Corona-Hilfsprogramme habe sich ohnedies in den vergangenen Monaten ein enger Dialog mit Vertreterinnen und Vertretern der Verbände und der Kulturszene als wertvoll erwiesen. An diesen Prozess könne man auch anknüpfen. Oder mit anderen Worten: Kommt Zeit, kommt Forum.

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