Kultur:Eine halbe Milliarde für den Gasteig - dabei ist seine große Zeit längst vorbei

Lesezeit: 3 Min.

München sollte lieber Geld in die kulturelle Entwicklung der Stadtviertel investieren.

Kommentar von Karl Forster, München

Es schimpft der Schweizer Aphoristiker Alfred Selacher: "Zentralismus ist der Anfang vom Ende." Nun ist dieser Mann weniger als Philosoph denn als selbsternannter Lebenskünstler bekannt geworden. Aber wer über den Gasteig, seine Genese und den Wandel seiner Bedeutung als Münchens zentrale Anlaufstelle für Kultur nachdenkt, ist für jedes einigermaßen knackige Zitat zum trockenen Begriff Zentralismus dankbar. Und wenn Selacher weiters sagt, der Zentralismus sei "die Krankheit, für deren Lösung er gehalten wird", so fallen einem ein paar Beispiele ein zur Diskussion. Beispiele, die zwar teils weit weg liegen vom "gaachen Steig", wie der Weg vom Osten ins alte München genannt wurde, die aber die Auswirkungen zentralistischen Denkens und Planens durchaus plastisch machen.

Sagt man Zentralismus, denkt man zuerst an Frankreich (mehr und mehr zu Unrecht) oder an Italien (noch immer sehr zu Recht). Alle Wege führen nach Paris, wahlweise nach Rom. Und wer einmal versucht hat, beispielsweise von Südtirol aus mit einer zentral-italienischen Behörde (Bank, Steuer, Strom) ein Problemchen zu lösen, merkt schnell, wie weit Rom weg ist. Andererseits haben sich in Frankreich einige Gegenden kulturell und in puncto Lebensqualität so sehr von Paris abgenabelt, dass die einstige Sehnsucht nach der Stadt an der Seine einem eher spöttischen Selbstbewusstsein Platz gemacht hat.

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Endlich hat der Stadtrat sein Placet für die Renovierung erteilt. Wäre das früher geschehen, hätte man sich eine ganze Menge Geld gespart.

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Bricht man solche Gedanken herunter auf München und die geplante, bis zu 450 Millionen Euro teure Sanierung des Gasteigs, die der Stadtrat an diesem Mittwoch auf den Weg bringen will, kann man den Gedanken nicht wegschieben, dass sich seit dem 10. November 1985 einiges geändert hat im Verhältnis des Münchners zu seiner Stadt. An jenem Tag dirigierte Sergiu Celibidache die Münchner Philharmoniker beim Eröffnungskonzert. München brauchte damals, vor mehr als 30 Jahren, dringend einen neuen Platz für kulturelle Ereignisse. Odeon und Tonhalle, die beiden großen Konzertsäle, waren im Krieg zerstört worden, die Philharmoniker waren heimatlos, Stadtbibliothek und Volkshochschule wollten expandieren. Und natürlich lag München voll im Olympiarausch, als man 1971 den Architekturwettbewerb für ein Kulturzentrum ausschrieb. Der Ort war da längst beschlossene Sache: am Gasteig, an der Rosenheimer Straße.

Und es war eine sehr sozialdemokratische Lösung, weil so volksnah. Schließlich hieß der Oberbürgermeister damals ja auch Hans-Jochen Vogel, für viele bis heute Mister SPD. Und Vogel hatte Visionen und genug Selbstbewusstsein für deren Umsetzung. So machte er kurz nach seiner ersten Wahl 1960 das Stadtplanungsamt zur Chefsache, verdreifachte dessen Personal und ließ einen Stadtentwicklungsplan entwerfen, der für die nächsten 30 Jahre gelten sollte. Und gemäß der Grundidee, dass vor allem Münchens Zentrum lebenswert werden und bleiben soll, trieb er nicht nur den Gedanken zu einem Kulturzentrum voran, sondern auch den zur großen Fußgängerzone. Im Olympiajahr entschwand Vogel dann in Richtung Bundesregierung. Es oblag seinem Nachfolger Georg Kronawitter, 1978 den ersten Spatenstich für den Gasteig zu setzen.

Man darf nun nicht der Versuchung erliegen, das Konzept für dieses kulturelle Monstrum zu schmähen, nur weil es aus heutiger Sicht zentralistisch war und deswegen diskussionswürdig geworden ist. Noch immer gibt es gute Gründe, ein innerstädtisches Kulturzentrum zu betreiben: beste Erreichbarkeit, die Vorteile, verschiedene Kulturangebote unter einem Dach anzubieten, und nicht zuletzt ein nahes, opulentes gastronomisches Angebot für postkonzertante Aktivitäten. Das ist auch heute noch so. Wenigstens zum Teil.

Es täte der Stadt gut, ihren Stadtteilen mehr kulturelle Verantwortung zu überlassen

Es hat sich aber die Stadt vor allem in ihren Vierteln sehr viel weiterentwickelt als einst vorausgesehen. Heute ist fast jeder Kiez (ein Wort, das man damals hier kaum kannte) irgendwie kulturell etabliert, was sich auch am lukullischen Angebot ablesen lässt. Zum Beispiel Neuhausen. Es gehört zwar erst seit 1899 zur Stadt, aus dem einstigen Dorf ist aber längst auch eine kulinarische Insel im Großstadteinerlei geworden mit Arthouse-Kino und der Herz-Jesu-Kirche als architektonisch-musikalischem Höhepunkt. Weiter westlich muss man nur die Menzinger Straße entlangfahren, um Hunger und Durst in herrlichem Ambiente zu bekämpfen. Giesing, das einstige Glasscherbenviertel, hat eine eigene Brauerei, ein paar funkige Musikszenekneipen und mit Sandra Forsters Charlie eine echte Szeneadresse. Und wenn man das Haidhausen aus dem Gasteig-Spatenstich-Jahr mit dem von heute vergleicht, merkt man, das nicht jede Gentrifizierung des Teufels sein muss.

Was das für die Stadtkultur bedeutet? Man muss ja nicht gleich, wie die Pariser mit ihrer neuen Philharmonie, den künftigen Konzertsaal im Hasenbergl bauen. Aber es täte der Stadt gut, ihren Stadtteilen deutlich mehr kulturelle Verantwortung zu überlassen. Da wäre, nur ein aktuelles Beispiel, ungeachtet der architektonischen, baulichen und finanziellen Probleme ein Kulturblock im Tonnengewölbe der Paketpost schon eine Aufwertung des Westens gewesen. Und was im Süden, in Solln, Pullach, Harlaching oder Grünwald kulturell und kulinarisch geboten ist, muss die innerstädtische Konkurrenz längst nicht mehr fürchten.

Auch um München herum hat sich in den vergangenen vier, fünf Dezennien eine kulturelle Vielfalt sehr hohen Niveaus entwickelt. Von Schleißheim bis Schäftlarn, von Fürstenfeld und Dachau bis Ottobrunn und Gut Immling, vom Kallmann-Museum in Ismaning mit seinem hochkarätigen Konzertprogramm bis zum renommierten Fünf-Seen-Filmfestival, München hat auch im Umfeld als kultureller Solitär ausgedient.

Nun soll der Gasteig für knapp eine halbe Milliarde Euro umgebaut und modernisiert werden. Eine zentrale Rolle aber wie vor 30 Jahren wird er nicht mehr spielen. Oder um noch mal Alfred Selacher zu bemühen: "Fortschritte sind Schritte fort vom Zentralismus."

© SZ vom 05.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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