Süddeutsche Zeitung

Kultkneipe "Pils-Doktor":Wo die Bahn den Schnaps serviert

"Pils-Doktor" Herbert Hollerer ist eine Schwabinger Institution - legendär ist seine Stamperl-Bahn, die Extraschnaps auf Schienen liefert. Doch nach 42 Jahren hat der Wirt genug. Er geht in Rente und die Kneipe steht zum Verkauf.

Von Anna Fischhaber

Wie man Stamperl mit einer Modelleisenbahn verteilt, hat Herbert Hollerer schnell gelernt. Dass eine Ausbildung im Grand Hotel einem Pils-Doktor nicht unbedingt hilft, musste ihm erst ein Gast beibringen. Nach ein paar Wochen warnte er den neuen Wirt, seine Zurückhaltung wirke hochnäsig. Seitdem duzt Hollerer alle Kunden, stellt ihnen das Bier hin, bevor sie danach fragen, und errät, wann es Zeit ist, die Stamperl-Bahn mit dem Extraschnaps loszuschicken.

Dann drückt der 65-Jährige, rotes Converse-Shirt, Halbglatze, Metallbrille, einen Knopf hinter dem Tresen. Über der Bar ist ein Pfeifen zu hören, die Bahn rattert los, fährt die rote Wand entlang, die der Wirt mit Bergen bemalt hat. Dreht über den Tischen eine Runde durch das Lokal, bis sie mit einem Ächzen über den Köpfen der Gäste anhält.

Hollerer hat die Modelleisenbahn so umgebaut, dass Stamperlgläser darauf passen oder eine Flasche Schnaps. Nur hohe Gläser, die bringt er lieber selbst an den Tisch. Noch. Nach 42 Jahren will der Schwabinger Pils-Doktor nicht mehr. "Um die Gäste tut es mir leid, aber ich hab mir meine Rente verdient", sagt er. Seine Kneipe steht zum Verkauf.

Je älter Hollerer wird, desto jünger werden die Gäste

Die Neonschrift täuscht, innen ist der Pils-Doktor ziemlich gemütlich, hat mit den alten Zugschildern, die von der Decke hängen, seinen ganz eigenen Stil. Hollerer hat hier schon Thomas Gottschalk bewirtet und der Tantris-Belegschaft Bier serviert. Noch immer läuft der Pils-Doktor gut. "Manchmal zu gut", findet Hollerer inzwischen. Je älter er wird, desto jünger werden seine Gäste. Vor allem am Wochenende wird es in seiner Kneipe - 47 Sitzplätze, Musikbox, Holzbänke - unübersichtlich.

Wenn die Stammgäste nach Hause gehen, kommen die Studenten und bleiben bis zum nächsten Morgen. Urige Boazn sind wieder in, vor allem wenn sie so originell sind wie das Lokal mit der Stamperl-Bahn. Dabei ist Hollerer gar kein Eisenbahnfan, sondern Pragmatiker. Die Erfolgsidee mit der Bahn hatte sein Vorgänger, von dem er im Februar 1972 den ersten Pils-Doktor in der nördlichen Leopoldstraße übernahm, ein paar Meter von seinem jetzigen Lokal auf Nummer 124 entfernt.

Früher war Schwabing ein Pulverfass

Der Wirt kommt aus der Steiermark, manchmal hört man ihm das noch an. Gelernt hat er in österreichischen Grand Hotels. Dann traf er seine Frau, zog zu ihr nach München, jobbte in besseren Restaurants in der Maximilianstraße. Bis sein erster Sohn geboren wurde. Der damals 23-jährige Vater musste Geld verdienen und machte sich selbständig. Eine Zeit lang hatte er drei Lokale gleichzeitig.

"Damals war Schwabing noch ein Pulverfass", erzählt Hollerer. Die Roten und die Blauen rauften bei ihm, den rebellischen Arbeitern waren ihr Chef und der nächste Morgen egal - lieber blieben sie sitzen und bestellten noch ein Bier. Manche hat Hollerer schließlich selbst nach Hause gebracht. Einmal richtete ein Gast eine Pistole auf ihn, wollte Geld. Der Wirt hatte Glück: Andere Besucher kamen und der Mann verschwand. Ein anderes Mal gingen seine Gäste auf der Straße mit dem Messer aufeinander los. Hollerer stand deshalb sogar vor Gericht: Eine Staatsanwältin behauptete, er könne sein Lokal nicht richtig führen, fast hätte er die Konzession verloren.

Inzwischen sind seine Gäste ruhiger geworden. "Alkoholbewusster", sagt er. Hollerer findet das gut, weitermachen will er trotzdem nicht. Vielleicht weil er sich so schwer tut, Arbeit abzugeben. Fast alles hat er im neuen Pils-Doktor, den er 1988 gekauft hat, selbst gemacht. An diesem Mittwochabend ist er spät dran. Die Klobrille auf der Damentoilette war kaputt, er hat noch schnell eine neue gekauft und eingebaut.

Nun zapft er hinter den langen Holztresen ein Bier nach dem anderen und unterhält sich gleichzeitig mit den Gästen. Eine Frau gibt ihre Handtasche bei ihm ab, zum Aufpassen, und klagt über ihre verspannte Schulter. Ein Gast will von seinem Urlaub erzählen, ein anderer Hollerer Trüffeln mitbringen. Seine Schwester hat gerade viel Trüffeln. Der Wirt lächelt freundlich, nickt, sagt nicht viel. Er ist ein guter Zuhörer.

Auf den Wirt wartet ein anderes Leben

Aber Hollerer hat auch ein anderes Leben. Eine Doppelhaushälfte in Forstenried, auf der anderen Seite der Stadt, dort, wo ihn niemand als Pils-Doktor kennt. Eine Frau, zwei Söhne, Enkelkinder. Wenn niemand die Kneipe mit der Eisenbahn übernehmen will, wird die Bahn vielleicht bald durch den Garten der Familie tuckern. Hollerer will dann endlich mehr Fahrradfahren. Viel frische Luft hatte er in den letzten 40 Jahren nicht. Sechs Tage die Woche hat der Pils-Doktor auf, oft bis sechs Uhr in der Früh.

Eigentlich wollte eine kleine Brauerei die Kneipe kaufen - samt Eisenbahn. Sogar eine Übergangszeit war geplant, in dem der Pils-Doktor den neuen Betreibern die alten Gäste vorstellt. Doch im letzten Moment ist die Brauerei abgesprungen. Nun hat Hollerer an eine Maklerin übergeben. Vielleicht gibt es bald zwischen Shell-Tankstelle und Mercure-Hotel, jenseits der luxussanierten Schwabinger Altbauten, noch einen Billig-Friseur mehr. Hollerer zuckt mit den Schultern.

Dann wird er doch ein bisschen wehmütig: "Schön wäre es schon, wenn alles so bleibt", sagt er. Dann würde er vielleicht ab und zu vorbeikommen. Und dem neuen Wirt erklären, warum man im Pils-Doktor die Kunden duzt.

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Quelle:
SZ vom 23.07.2014
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