Süddeutsche Zeitung

Künstler in der NS-Zeit:Dunkle Vergangenheit

Eine Installation am Isartor erinnert an die Entnazifizierung

Von Stephan Handel

Weiße Hosen, weiße Hemden, weiße Unterwäsche - alles ganz in Weiß flattert seit Donnerstag an der Südseite des Isartors. Es ist aber nicht so, dass Sabine Rinberger, die Direktorin des dortigen Valentin-Karlstadt-Musäums, die Wäsche rausgehängt hätte - die Installation erinnert an einen Moment der deutschen Nachkriegsgeschichte, der ebenso schändlich wie heilsam war.

Vor 75 Jahren trat das "Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus" in Kraft. Mit seiner Hilfe sollten eingeschworene Nazis in hohen Posten von Verwaltung, Justiz und Kultur identifiziert und entfernt werden. Jeder Deutsche über 18 Jahren musste damals einen Fragebogen ausfüllen, Spruchkammern entschieden danach - und eventuell nach eigener Beweiserhebung -, ob der Bürger als Hauptschuldiger, Belasteter, Minderbelasteter, Mitläufer oder Entlasteter galt und welche Sühnemaßnahmen ihn treffen sollten.

Der Kabarettist Christian Springer hat daraus nun mit der Unterstützung des städtischen Kulturreferats, des Valentin-Karlstadt-Fördervereins und des Musäums eine Installation geschaffen, die künstlerische Symbolik und historische Aufklärung vereinen will: Die Wäsche auf der Leine zielt auf den Titel des Werks, "Ja, unsere weißen Westen". Darunter, sozusagen auf Augenhöhe, wird anhand der Biografien von Kunstschaffenden aus dieser Zeit die je unterschiedliche Verstrickung in die braunen Verbrechen gezeigt - und der unterschiedliche Umgang damit nach dem Ende der Diktatur. Ein Beispiel ist der Schauspieler Horst Tappert, 24 Jahre lang als Stephan Derrick der Fernseh-Mordkommissar der Nation - allerdings auch während der NS-Zeit Mitglied in der SS-Division Totenkopf, der schwerste Kriegsverbrechen zur Last gelegt werden. Tappert verschwieg diesen Teil seiner Biografie und behauptete, er habe in Russland Straßen gebaut oder sei im Sanitätsdienst tätig gewesen. Als fünf Jahre nach seinem Tod die Wahrheit ans Licht kam, beschloss das ZDF, keine Derrick-Folgen mehr zu wiederholen.

Oder die Schriftstellerin Luise Rinser. Sie war eine Moralinstanz im Nachkriegsdeutschland. Als Lehrerin aber hatte sie ihren eigenen Schuldirektor als Juden denunziert, zudem schwärmerische Gedichte auf Adolf Hitler geschrieben. Die beiden Volkssänger und Volksschauspieler Weiß Ferdl und Georg Blädel profitierten ebenfalls von ihren Arrangements mit dem Regime, beteuerten später aber, ihnen sei es doch nur um die Kunst gegangen.

Anders Gert Fröbe: Der Schauspieler sagte nach dem Krieg, er sei natürlich Nazi gewesen, "ging ja gar nicht anders". Darauf wies Christian Springer in seiner Eröffnungsrede hin: Dass es in einer Diktatur keine freie, schon gar keine oppositionelle Kunst geben könne, "Kunst dient immer dem Regime" - und dass der Künstler also nur die Wahl hat, tatsächlich oder nach innen zu emigrieren oder eben mitzumachen. Anton Biebl, der Kulturreferent der Stadt, erinnerte daran, dass seit 1990 in Deutschland 187 Menschen Opfer rechter Gewalt wurden. Die Kunstinstallation im Isartor, von der Zweibrückenstraße aus weithin zu sehen, bleibt noch bis zum 11. November.

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SZ vom 06.08.2021
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