Süddeutsche Zeitung

Kritik: Hidalgo "Fuck Up Night":Wer scheitert, wird gescheiter

Die Konzertreihe Hidalgo versucht Musik und das Konzept der "Fuck Up Night" zusammenzubringen. So trifft das geheimnisvolle Theremin auf Wigald Boning, der erzählt, wie er einmal keinen Erfolg in Hollywood hatte

Von Dirk Wagner

Wer noch nie gescheitert ist, hat möglicherweise nur zu wenig gewagt. Entsprechend sieht auch der Münchner Konzertdesigner und Regisseur Tom Wilmersdörffer das Scheitern als eine Form des Lernens. Das bedeutet zwar nicht, dass er es in seiner 2016 zum ersten Mal initiierten Veranstaltungsreihe Hidalgo explizit darauf anlegt zu scheitern. Aber in den Bemühungen der Hidalgo-Festivals um neue Präsentationsformen von klassischer und zeitgenössischer Musik schwingt die Möglichkeit, dass ein Experiment auch mal misslingen kann, dennoch ständig mit. Wenn es nun aber noch nicht einmal mehr zum geplanten Experiment kommt, weil wegen der Infektionsgefahr Präsenzveranstaltungen regelmäßig ausfallen müssen, ist es eigentlich eine witzige Idee der Hidalgo-Organisatoren, ein ursprünglich beabsichtigtes Konzert stattdessen als einen Live-Stream aufzubereiten, der dann auch noch das Scheitern selbst thematisiert.

Also mischten sie für den Stream aus den Räumen des Impact Hub Munich ein ohnehin schon geplantes Konzert der Theremin-Spielerin Carolina Eyck mit einer Veranstaltungsform, die weltweit als "Fuck Up Night" gefeiert wird. In so einer Fuck Up Night erzählen vermeintlich erfolgreiche Menschen von ihren Niederlagen und Rückschlägen auf dem Weg zum Erfolg, von persönlichen Fehleinschätzungen und vom Scheitern. Und oft genug ziehen alle Beteiligten aus solchen Veranstaltungen die Lehre, dass all die furchtbaren Niederlagen immer noch besser sind, als etwas gar nicht erst versucht zu haben. Zumal viele Referenten es trotz solcher erlebten Tiefschläge am Ende doch geschafft haben, sich in ihren Bereichen zu behaupten. In der Fuck Up Night des Hidalgo-Livestreams erzählten zwischen den musikalischen Darbietungen die erfolgreiche Münchner Gastronomin Sandra Forster, der Sterne-Koch Tohru Nakamura und der hauptsächlich als Comedian wahrgenommene Tausendsassa Wigald Boning über ihre persönlichen Pannen. Forster bot dabei sogar einen sehr berührenden, geradezu intimen Seelen-Strip, derweil Boning als selbsternannte "Humorfachkraft im deutschen Fernsehen" sein hier nun offenbartes Unglück als eine weitere Pointe des Komikers aufbereitete.

Deutlich ernster und selbstkritischer gab sich danach wieder Nakamura, der zudem als Einziger an diesen Abend auch einen Bezug zur dargebotenen Musik formulierte. Und genau daran scheiterte letztlich auch diese Hidalgo-Fuck-Up-Night: an der Frage nämlich, was solche Geschichten über berufliche Missgeschicke mit den wunderbaren Schubert- und Liszt-Adaptionen zu tun haben, die Carolina Eyck neben Eigenkompositionen auf dem Theremin spielte. Jede Erläuterung des eigenwilligen Instruments, das im wesentlichen aus zwei Antennen besteht, wäre da spannender gewesen. Immerhin konnte auch dieses allererste elektronische Instrument sich in den 1920er-Jahren nicht wie geplant als gängiges Instrument einer modernen Hausmusik durchsetzen. Einen festen Platz im Orchester fand es ohnehin nicht. Und auch sein hundertjähriges Jubiläum wurde letztes Jahr von der Pandemie überschattet. Witziger als Bonings Erzählung darüber, wie er eine Hollywood-Karriere gegen die Wand fuhr, an die eh niemand geglaubt hatte, hätten die Geschichten über ein Instrument sein können, das im Prinzip wie ein Bewegungsmelder funktioniert. Darum reagiert es auch auf Bewegungen im Raum, die von den Musizierenden nicht beabsichtigt sind. So wirkte einmal ein Bundespräsident während eines Festaktes zur Hundertjahrfeier des Deutschen Museums auf ein Theremin-Konzert ein, weil er verspätet den Konzertraum betreten hatte und dabei wohl auch ins elektromagnetische Strahlenfeld des bereits verwendeten Theremins gelangte.

Derlei Geschichten und Anekdoten zum Theremin hätten also ausreichend das Thema Scheitern berühren können. Und es wäre dann umso spannender gewesen, mitzuerleben, wie virtuos Carolina Eyck, die für das Theremin sogar eine eigene Spieltechnik entwickelt hat, ihr Instrument zu nutzen weiß. Welche exakten Töne sie diesem empfindlichen Instrument abgewinnt, indem sie bei ihm stehend mit ihren Händen in die Luft greift, als würde sie dort Geister beschwören. Dabei ist ihr ganzer Körper bereits Teil des Instruments, den sie darum auch nur so bewegen darf, wie sie möchte, dass er auf den Sound einwirkt. Mittels einer Loop-Technik nahm Eyck am Sonntag immer wieder Klänge auf, über die sie weitere Klänge schichtete. Eine zweite Melodie, eine weitere Basslinie und zusätzliche Harmonien wuchsen so zu wunderschöne Klangbilder, für die sich jedes Scheitern gelohnt hätte.

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SZ vom 12.05.2021/van
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