Süddeutsche Zeitung

Kritik:Die Frage nach der Einsamkeit

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Jasmine Ellis gibt ihrem als Stream gezeigten Tanzfilm "Is Susan lonely?" eine nostalgische Note

Von Sabine Leucht, München

Nein, es liegt nicht an Corona. Mit der Einsamkeit hat Jasmine Ellis es schon länger. Bereits im München-Debüt "Empathy" versuchte die kanadische Choreografin die Kluft zwischen den Menschen zu überspannen, und seit "Lucas is lonely" 1919 in Winnipeg herauskam, hat das Adjektiv einen Stammplatz in den Titeln ihrer Arbeiten. In "Is Susan lonely?" ist nur erstmals ein Fragezeichen mit dabei. Denn so einfach ist die Sache in dem Tanzfilm nicht, der am Wochenende auf dringeblieben.de als Livestream zu sehen war.

Man kann aus diesem dann doch pandemiebedingten Experiment nicht auf das Stück schließen, das im November auf die Bühne hätte kommen sollen. Dafür ist es zu besoffen von Perspektivwechseln und der uns schon fremd gewordenen Nähe, die das gemischte Tänzer-Musiker-Ensemble zelebrieren kann, weil es sich zum Drehen aufs Land zurückgezogen hat. So spielt die Gegend um Oberaudorf eine optisch herausragende Rolle - und die in München noch unbekannte Filmemacherin, die Jasmine Ellis auch ist. An die oft unnötig komplizierten Bewegungen und Körperverschlingungen, die ihr Choreografinnen-Double in Szene setzt, zoomt diese oft so dicht heran, dass eine einzelne Muskelpartie in den Fokus gerät oder eine Schuhsohle im Kies. An Tanz-Sessions, etwa auf einem Steg, wischt die Kamera gerne auch nur vorbei. Oft brüske Schnitte bringen immer wieder die Ladefläche eines Pickup ins Spiel, auf der sich ein Vierergrüppchen die Seele aus dem Leib rappt - oder sie kontrastieren Susans (Breeanne Saxtons) intime Beichte in einer Badewanne mit Szenen, in denen Körper in einen See tauchen.

Nahezu entfärbte Bilder und verschwimmende Konturen geben dem Film eine nostalgische Note. Mit der geschmeidigen, siebzigerjahre- wie gegenwarts-kompatiblen Musik von Maximilian Hirning und Co. summiert sich das zu einem melancholisch-hippiesken Feelgood Movie, das fast vergessen lässt, dass es hier eigentlich um zu hohe Ansprüche an sich selbst geht, die auch einsam machen können. Daran erinnert die zweite weibliche Performerin Jin Lee, die sich auf einem Forstweg ihrer Kleider entledigt, ihr Gesicht ins Gras drückt und vom Verschwinden in der Natur träumt. Ja, vor Kitsch hat Ellis nach wie vor keine Angst. Auch die wenigen hölzernen Sprechakte übertreten hier eine Grenze. Dennoch ist der Film atmosphärisch wie musikalisch ein willkommenes Zuckerl in einer bitteren Zeit.

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Quelle:
SZ vom 14.12.2020
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