Kritik:Entscheiderin über den klanglichen Ausnahmezustand

Die italienische Pianistin Beatrice Rana verblüfft mit Technik und Souveränität im Herkulessaal.

Von Paul Schäufele, München

Immer wieder kommt es zu Momenten intensiver Stille. Und dass es so ist, liegt nicht an der reduzierten Hörerzahl, sondern an der Fähigkeit Beatrice Ranas, den Herkulessaal in einen Zustand gespannter Konzentration zu versetzen, gerade in den stillen Augenblicken. Das gelingt der italienischen Pianistin mit ihrer stupenden Technik, die bei Ökonomie der Bewegung und einer fast unbeteiligten Mimik einen Klangrausch nach dem anderen produziert. So in Chopins vier Scherzi, die Rana als veritable Klavier-Symphonie interpretiert.

Da spielt es keine Rolle, dass in Opus 20 die zerklüfteten Achtel-Ketten nicht mit maschinenhafter Deutlichkeit kommen. Denn Rana denkt im Zusammenhang: Auf h-Moll folgt b-Moll, frei im Tempo und lyrisch. Cis-Moll donnert, bevor E-Dur das brillante Finale bildet - schwerelos am Anfang, aber mit einer gewaltig sich ballenden Coda. Als Hörer hat man es da einfach. Beatrice Rana hat alles im Griff, daran ist kein Zweifel, was auch in den vertrackten Etüden hörbar wird, die sich Claude Debussy ausgedacht hat. Sie werden hier zu schillernden Klangereignissen, die auch deshalb fesseln, weil Rana hier völlig unprätentiös ihre Differenzierungskunst demonstriert. Zum Beispiel in der zweiten Etüde, die das Spiel in Terzen trainiert.

Wieviele Arten allein der kurz abstoßenden Artikulation (Staccato) kennt Rana? Trockene, spitze, explodierende, flüchtige Staccati wechseln locker. Diese und noch weitere virtuose Herausforderungen kommen zusammen in den drei Sätzen, die Igor Strawinsky aus seinem "Petruschka"-Ballett gebastelt hat. Ohne die geringste Ermüdungserscheinung hebt Rana Notenberge, ehe ihr mit Camille Saint-Saëns' Schwan in der Bearbeitung von Leopold Godowsky eine funkelnde Zugabe gelingt. All das, die Fähigkeit, mit einem anspruchsvollen Programm an die Extreme des Klangs zu rühren und nicht zuletzt die suggestive Publikumswirkung machen Beatrice Rana zu einer Souveränin des Klaviers. Denn Souverän ist, wer über den klanglichen Ausnahmezustand entscheidet.

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