Psychologie:Wo gibt es erste Hilfe für die Seele?

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Das Hilfsangebot in Lebenskrisen ist groß. Experten kritisieren sogar, dass die Vielfalt Betroffene verwirren könne. (Foto: Sirijit Jongcharoenkulchai/Zoonar/Imago)

Wer nicht mehr weiter weiß, kann bei mehreren Beratungsstellen schnell Unterstützung erhalten. Auf eine Therapie müssen Betroffene dagegen lange warten. Ein Überblick über die Angebote in psychischen Notlagen.

Von Ekaterina Kel

Wenn das Bein gebrochen ist, fährt man in die Notaufnahme. Wenn aber die Psyche leidet, ist man schon unentschlossener. Wer hilft einem in seelischen Notlagen? Wo ist man richtig aufgehoben?

Wer akut in der Krise ist, hat es mit vielen Fragezeichen zu tun. Die Menschen wüssten nicht weiter, seien hilflos, orientierungslos, könnten ihren Kummer aus sich heraus nicht mehr bewältigen, so beschreibt es eine Münchner Therapeutin. Es gibt ein recht komplexes Netzwerk in der Stadt und auch bundesweit aus Kliniken, Vereinen und Organisationen, die darum bemüht sind, Menschen im Moment dieser Ratlosigkeit aufzufangen.

Doch die Angebotsauswahl ist enorm und kann auch überfordern. Selbst Psychiater, Therapeuten und Sozialpädagogen sagen, dass die Vielfalt verwirren könne. Dabei ist die Hilfe dringend notwendig: In München ist mehr als jeder vierte Erwachsene aktuell psychisch krank.

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Die akute Hilfe in psychischen Notlagen funktioniere wie ein Feuerlöscher, sagt Amöna Woyde vom Krisendienst Psychiatrie Oberbayern. „Aber es fehlt dann oft an der nötigen Nachsorge.“ Auf einen Therapieplatz muss ein Münchner laut Kassenärztlicher Vereinigung Bayern (KVB) im Schnitt 2,7 Monate warten. Eine Studie im Auftrag der Stadt kritisierte jüngst die lange Wartezeit. Während dieser könne sich ein Zustand chronifizieren. Viele verfügen zudem nicht über ein soziales Netz, das auffangen könnte – in München lebt jeder Dritte allein.

Die Stadt hat für Dienste mit psychosozialem Fokus auf ihrer Homepage eine Übersicht erstellt. Welche Möglichkeiten hat man in einer akuten Notlage? Eine Annäherung:

Krisendienst Psychiatrie

Die erste Adresse für alle in einer psychischen Notlage ist der Krisendienst, in München ist der Krisendienst Psychiatrie Oberbayern zuständig. Die bayernweite Nummer: 0800/6553000. Sie ist rund um die Uhr jeden Tag besetzt. Das Konzept ist das einer Art Leitstelle, wie sie der Rettungsdienst hat, – mit dem Unterschied, dass Anrufer mit viel Zeit angehört werden können. Amöna Woyde, Gebietskoordinatorin für München und den Landkreis, sagt, man möchte „Türöffner und Lotse“ im System sein.

Zunächst wird versucht, die Situation am Telefon zu klären. Meistens werden Empfehlungen ausgesprochen, wohin man sich wenden sollte, manchmal rückt ein mobiles Einsatzteam aus und kommt direkt zum Betroffenen, manchmal wird direkt weitervermittelt, etwa an eine psychiatrische Ambulanz. Die Beratungen gibt es dank Dolmetscher in 120 Fremdsprachen.

Mehr als 32 000 Menschen wählten die Nummer des Krisendienstes in Oberbayern im vergangenen Jahr, fast die Hälfte davon aus München. Der Krisendienst ist für Erwachsene zuständig. Kindern und Jugendlichen könne meist nicht so einfach geholfen werden, erklärt Woyde, denn hier müsse jede weiterführende Hilfe erst vom Jugendamt genehmigt werden und dies verzögere die Akuthilfe. Das Versorgungsnetz für Kinder und Jugendliche stößt laut der Sozialpädagogin aktuell an seine Grenzen.

Sozialpsychiatrische Dienste

Ein Angebot, an das der Krisendienst häufig vermittelt, sind die sozialpsychiatrischen oder, für Menschen ab 60 Jahren, gerontopsychiatrischen Dienste. Das sind lokale Beratungsstellen auch für Angehörige. Zum Team gehören Sozialpädagogen und Psychologen. Es gibt in München zehn sozial- und vier gerontopsychiatrische Dienste, sie werden von verschiedenen Wohlfahrtsverbänden getragen, etwa der Caritas. Die Stelle in der Innenstadt betreibt die Stadt selbst. Nach Eingabe seiner Adresse auf der Homepage der Stadt kann man den zuständigen Dienst finden und sich direkt an ihn wenden.

Diese Stellen unterstützen sowohl in akuten Krisensituationen als auch bei längerfristigen Problemen, bieten Nachsorge nach einem stationären Aufenthalt an und kommen auch zu Hausbesuchen oder begleiten, wie es im Einzelfall nötig ist. Das kann alles sein: von der Hilfe bei der Entrümpelung der Wohnung bis zur Organisation einer Yogagruppe. Die Idee ist, die Teilhabe der Betroffenen an der Gesellschaft zu erhalten und – auch hier wieder – aufzufangen, damit der Zustand sich nicht noch verschlimmert. Die Hilfe ist kostenlos.

Psychiatrische Ambulanzen

Es gibt auch Anlaufstellen mit direktem Zugang zu Psychiater oder Psychotherapeuten. Diese sogenannten Institutsambulanzen sind an psychiatrische Kliniken angebunden und funktionieren im Grunde so ähnlich wie die Notaufnahmen herkömmlicher Kliniken. Es gibt mindestens sechs solcher Institutsambulanzen in der Stadt, etwa auch von den beiden Unikliniken oder dem Max-Planck-Institut. Eine Übersicht samt einiger psychosomatischer Ambulanzen gibt es auf der Seite des Münchner Bündnisses gegen Depression.

Die Institutsambulanzen sind nach Zuständigkeiten eingeteilt: Beispielsweise ist das Atriumhaus an der Bavariastraße 11 als zentrumsnaher Zweig der KBO-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Haar zuständig für Menschen aus dem Süden und Westen der Stadt. Welche Ambulanz die richtige ist, erfährt man beim Krisendienst unter 0800/6553000. Die Mitarbeiter dort haben sogar die Möglichkeit, einen Krisentermin für den Anrufer zu belegen.

Die Ambulanz des Atriumhauses ist rund um die Uhr besetzt. 17 Stunden täglich seien für Notfälle reserviert, sagt der oberärztliche Leiter des Hauses, Tobias Skuban-Eiseler. Man schicke niemanden weg. Vielen der Menschen, die spontan wegen einer Lebenskrise kommen, sei bereits mit einem einmaligen Termin geholfen, bei dem nach Bedarf auch Medikamente verschrieben werden können. Man habe aber auch die Möglichkeit, in eine Tagesklinik mit mehreren Terminen zu kommen oder auch kurzfristig stationär aufgenommen zu werden. Auch die psychiatrische Ambulanz des LMU-Klinikums an der Nußbaumstraße 7 ist rund um die Uhr besetzt.

Arche

Die Lebenskrise spielt auch beim Münchner Verein Die Arche eine zentrale Rolle. Viele Menschen riefen in einer akuten psychischen Notlage an, erzählt Geschäftsführerin Heidi Graf. Besonders die Suizidprävention liege dem Verein am Herzen. Auch besorgte Angehörige oder Kollegen suchten häufig Rat. Nach einem Suizid werden Hinterbliebene vom Verein unterstützt. Es gibt ihn seit mehr als 50 Jahren, die Beratungsräume liegen an der Saarstraße in Schwabing. Einen Beratungstermin vereinbart man am besten übers Sekretariat: 089/334041.

Münchner Insel

Ein Schicksalsschlag, eine schlimme Diagnose, ein verlorener geliebter Mensch: Die Münchner Insel steht Betroffenen mit Psychologen, Sozialpädagogen oder Theologen zur Seite, um anonym und ohne Voranmeldung ein persönliches Gespräch zu führen, auch per Video kann beraten werden. Die Beratungsstelle befindet sich unter dem Marienplatz, im Zwischengeschoss bei der Treppe zur S-Bahn. Sie wird getragen von der katholischen und der evangelischen Kirche und ist gedacht als möglichst niederschwellige Anlaufstelle, bei der man weitere Informationen und Empfehlungen erhalten kann. Die Telefonnummer: 089/220041.

Telefonseelsorge

Die Telefonseelsorge wird ebenfalls von den christlichen Kirchen getragen. Sie ist rund um die Uhr erreichbar unter 0800/1110111 (evangelisch) oder 0800/1110222 (katholisch), auch unter 116123 gibt es Hilfe – oder per E-Mail und Chat, dafür muss man sich auf der Homepage mit einer E-Mail-Adresse registrieren. Die Telefonseelsorge ist kostenlos und richtet sich an alle Menschen, die jemanden zum Zuhören brauchen, die Gespräche sind anonym und vertraulich. Am Hörer sind meist speziell geschulte Ehrenamtliche, die sich viel Zeit nehmen können. Auch hier wird an Hilfsangebote vermittelt, falls nötig.

Nummer gegen Kummer

Eine weitere deutschlandweite Nummer gibt es speziell für Anliegen von Kindern und Jugendlichen: 116111. Diese ist von Montag bis Samstag nachmittags und abends erreichbar und ebenfalls anonym und kostenlos. Die Beratenden sind selbst zwischen 16 und 27 Jahre alt und geschult. Nach einer Registrierung mit einer E-Mail-Adresse kann man seinen Kummer auch online loswerden.

Psychotherapie

Ist die akute Krise überwunden, das psychische Leiden allerdings noch nicht, könnte eine Psychotherapie der richtige Weg sein. Einen Therapieplatz zu bekommen, kann allerdings sehr lange dauern. Ein Erstgespräch mit einem Therapeuten, um das Problem zunächst zu besprechen und über Therapieformen zu reden, ist unter Umständen noch am einfachsten möglich. Dafür kann man sein Glück bei den Therapeuten selbst versuchen oder sich an die KVB wenden.

Die hat eine Übersicht erstellt: Unter 116117 erreicht man deren Terminservicestelle, die für den Anrufer einen Ersttermin beim Psychotherapeuten vereinbaren kann, laut KVB innerhalb einer Woche. Allerdings könne die Wartezeit bis zum eigentlichen Termin bis zu fünf Wochen betragen, heißt es. Erst nach einem Erstgespräch kann der Therapeut eine Behandlungsbedürftigkeit feststellen und ein spezielles Formular dafür ausstellen. Damit kann man sich an die Koordinationsstelle Psychotherapie der KVB wenden unter 0921/8809940410. Diese nennt Adressen von Psychotherapeuten, die der KVB freie Therapieplätze gemeldet haben.

Der Weg ist mit vielen Anrufen und viel Wartezeit verbunden. Betroffene sowie Experten weisen immer wieder darauf hin, zuletzt in einer umfangreichen Studie im Auftrag der Stadt, dass der schwere Zugang zur nötigen Hilfe eine zusätzliche Belastung für Erkrankte darstellt und letztlich das Risiko birgt, dass sich Problemlagen zuspitzen.

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