Die Stadt hat wieder ein Rekordjahr hinter sich. So viele Neugeborene wie nie kamen 2016 hier zur Welt. Allein 18 107 echte Münchner Kindl, aber auch mehrere Tausend Babys, deren Mütter aus Ottobrunn, Erding oder Abu Dhabi zur Entbindung nach München gekommen sind. Gute Zeiten für Hebammen, könnte man meinen. Doch die Realität der Geburtshelferinnen sieht anders aus. Feste Stellen an Kliniken sind schlecht bezahlt, selbständige Hebammen klagen über hohe Versicherungsbeiträge. Das schreckt viele ab. Die Hebammen sorgen sich um den eigenen Nachwuchs.
"Die Bewerberzahlen sind deutlich zurückgegangen, von 1000 Bewerbungen im Jahr 2007 auf 250 Bewerbungen dieses Jahr", sagt die Leiterin der einzigen Münchner Hebammenschule, Marianne Kerkmann. "Darunter sind viele Mehrfachbewerbungen, das heißt, die interessierten Frauen bewerben sich gleichzeitig an Schulen in verschiedenen Orten." Noch genügt die Mittlere Reife für die Zulassung, doch von 2020 an setzt eine EU-Richtlinie das Fachabitur voraus. Kerkmann hofft, dass die Hebammenausbildung dann an die Hochschulen verlagert wird wie in anderen EU-Ländern und Bundesländern.
Jedes Jahr treten an der Staatlichen Berufsschule 20 Frauen die Ausbildung an. "Aber nicht wenige Schülerinnen brechen ab, weil sie sich die Arbeit so nicht vorgestellt hatten", sagt Astrid Giesen, Vorsitzende des Bayerischen Hebammenverbands. "Der Hebammenmangel ist massiv. Und das wird in den nächsten zehn Jahren noch schlimmer." Ein großer Teil der aktiven Geburtshelfer sei zwischen 50 und 60 Jahre alt, sagt Giesen. Gehen sie in Rente, drohe ein Kollaps in den Kreißsälen.
Schon heute müssen Schwangere in München früh dran sein, um eine Hebamme zu finden. "Am besten sollten sie sich sofort melden, wenn sie erfahren, dass sie ein Kind bekommen", rät Zahra Shabani. Die freiberufliche Hebamme hat seit 1999 mehr als 5000 Schwangere begleitet. Mit sechs Kolleginnen arbeitet sie in einer Praxis, in der pro Jahr rund 750 Frauen vor und nach der Entbindung betreut werden. "Unsere Kapazität ist ausgeschöpft. Die Nachfrage steigt, aber die Hebammen werden immer weniger."
Das Gesundheitsreferat geht von 400 freiberuflichen Hebammen in München aus. Ihre Zahl sei in den vergangenen Jahren zwar leicht gestiegen, sagt Astrid Giesen vom Berufsverband. "Aber nicht das Leistungsangebot. Das heißt, immer mehr Hebammen arbeiten nur in Teilzeit." Und viele beschränken sich auf Wochenbettbetreuung.
Die Kosten für die Haftpflichtversicherung belasten die Hebammen
"Immer weniger leisten Geburtshilfe", beobachtet auch Claudia Lowitz, die seit 1997 freiberuflich in einer Hebammen-Praxis in der Innenstadt arbeitet. Das habe auch mit der Haftpflicht zu tun. "Wenn bei der Geburt eines Säuglings etwas schief geht, dann ist das am Anfang eines Menschenlebens", sagt Lowitz. "Da kommen im Laufe der Jahrzehnte schnell Millionenbeträge für die Pflege zusammen." Entsprechend hoch liegen die Beiträge für die Haftpflichtversicherung. 7595 Euro pro Jahr, rechnet der Verband vor.
Damit Hebammen das nicht alleine stemmen müssen, hat Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) sie mit einem Gesetz entlastet. Dank des sogenannten Sicherstellungszuschlags bekommen Hebammen von den Krankenkassen bis zu 70 Prozent der Beiträge zurück. Dieser Bonus sorgt wiederum für Unmut bei den Frauenärzten, die sich benachteiligt fühlen. Sie hätten gerne die gleiche Unterstützung. "Belegärztlich tätige Frauenärzte erhalten für die Betreuung einer Geburt etwa 200 Euro und müssen hohe fünfstellige Beträge für ihre Haftpflichtversicherung bezahlen", sagt der Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte, Christian Albring. Neueinsteiger gebe es praktisch keine mehr. Zu kostspielig sei allein schon die Praxisgründung.
Der Streit über die ungleiche Honorierung des Berufsrisikos ist nicht der einzige Konflikt zwischen Ärzten und Hebammen. In Geburtsstationen prallen die verschiedenen Sichtweisen aufeinander. Beispiel Kaiserschnitt. "Während ein Arzt eine Geburt eher physiologisch sieht, haben Hebammen einen anderen Blick auf die Geburt", sagt Giesen. "Ärzte fordern Kaiserschnitte oft zu früh. Ein Grund liegt in der Haftung: Es wurde noch keiner verurteilt, weil er zu viel getan hat."
Seit 2006 kommt jedes dritte Kind in München per Kaiserschnitt zur Welt, sagt Nicholas Lack von der Bayerischen Arbeitsgemeinschaft Qualitätssicherung in der Stationären Versorgung, kurz BAQ. Damit liegt die Landeshauptstadt über dem bayernweiten Durchschnitt, was aber auch damit zu tun hat, dass gerade bei komplizierten Schwangerschaften Mütter von außerhalb zur medizinischen Betreuung in die Münchner Kliniken kommen.
Die meisten Kinder aber werden von freiberuflichen Beleghebammen auf die Welt gebracht. Dem Landesverband zufolge hilft eine Beleghebamme durchschnittlich bei 79 Entbindungen pro Jahr. Wie hoch der Lohn für ihre Arbeit liegt, bestimmen die Krankenkassen. Für eine Geburt im Krankenhaus bekommt sie 272 Euro. Am meisten gibt es mit 546 Euro für eine Hausgeburt, deren Anteil laut BAQ aber bei unter einem Prozent liege. Zwillinge bringen 82,40 Euro extra. Die Erstuntersuchung eines Neugeborenen wird mit neun Euro vergütet, ein normales Beratungsgespräch für die Schwangere ist 6,84 Euro wert.
"Wir liegen bei einem Brutto-Stundenlohn von 30 Euro. Für Unternehmer ist das wenig", sagt Giesen. Hinzu komme die besondere Situation in der Großstadt, wo man für kurze Strecken lange braucht. "Das Wegegeld liegt bei 69 Cent pro Kilometer. Kein Handwerker würde für ein paar Euro quer durch die Stadt fahren", sagt Hebamme Lowitz. Derzeit laufen Verhandlungen mit den Krankenkassen über die Vergütung. Ausgang ungewiss.
Solche Sorgen haben festangestellte Hebammen nicht. An sechs der elf Münchner Geburtskliniken arbeiten hauptsächlich Festangestellte. So etwa die 22 Geburtshelferinnen am Klinikum rechts der Isar. Deren Chefin Bettina Kuschel beobachtet aber, dass "gerade die Jüngeren gerne in die Freiberuflichkeit wollen." Diese hat Vor- und Nachteile, je nach Sichtweise. "Seit wir ein Belegsystem haben, gibt es bei uns keinen Hebammenmangel mehr", sagt die Sprecherin des Rotkreuzklinikums, Monika Das. Für die 33 freien Hebammen dort heißt das aber auch, dass sie sich selbst krankenversichern müssen. Das kostet pro Monat mindestens 350 Euro, unabhängig vom Einkommen.
Hoffnung auf Besserung ist in der Branche kaum zu spüren. "Wir hören immer wieder: Klar, ihr Hebammen seid schon wichtig", so die Verbandssprecherin. "Aber wirtschaftlich haben wir keine Lobby."