Krise des Boulevardtheaters:Schweren Herzens leichte Kost

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Die Komödie am Max II steht leer, im Bayerischen Hof hofft man auf städtische Unterstützung.

Eva Maria Fischer

Edel ist der erste Eindruck: blütenförmige Lüster an einer goldglänzenden Decke mit kupferrotem Muster, schwarze, antikisierende Pfeiler mit vergoldeten Akanthus-Motiven auf den Kapitellen, eine Bestuhlung aus rotem Samt und ein ebensolcher Vorhang, der Illusionen und Abwechslung verspricht. Dieses klassische Theaterflair hat Margit Bönisch bereits als Kind fasziniert. Schon als Zehnjährige habe sie von diesem Haus geschwärmt. Gemeint ist die Komödie im Bayerischen Hof: In dem Luxushotel am Promenadeplatz liegt die Prominenz nicht nur in den Betten, sondern steht auch auf den Bühnenbrettern.

Kerstin Radt und Jochen Busse, lustig im Bayerischen Hof. (Foto: Foto: oh)

Zunächst hatte Bönisch aber Pädagogik und Musik studiert. In Zürich kam sie zu Jörg Medicus und seinem Tournee-Unternehmen "Bühne 64". Zusammen mit Günther Tabor und Erich L. Kuhnen gründete sie die "Berliner Tournee". Sie schickten beispielsweise Tschechows "Möwe" mit Hannelore Elsner und Peter Fricke auf Gastspielreise, beobachteten Sir Peter Halls Pinter-Inszenierungen mit Jürgen Prochnow am National Theatre in London, die großen künstlerischen Erfolge und das dennoch nach der Pause wie leergefegte Theater.

Schließlich gewann Bönisch August Everding als Fürsprecher; durch seine Vermittlung wurde ihr 1992 tatsächlich die Direktion der Komödie im Bayerischen Hof zuerkannt, einem Privattheater mit 560 Sitzplätzen, das sich ausschließlich durch verkaufte Eintrittskarten finanziert. Ihr schwebte ursprünglich ein durchaus gehobener Spielplan vor, der sich am Berliner Renaissance-Theater orientieren und sich mit den Kammerspielen und dem Residenztheater messen sollte.

Doch schnell folgte die Ernüchterung: Das Traditionshaus, an dem seit 1886 Theater gespielt wird, funktionierte seit Jahrzehnten nach seinen eigenen Regeln. Hinter den Kulissen von Glitzer und Glamour bestimmen knallhartes Kalkül und Kalkulationen das Unterhaltungsgenre. Sie musste lernen, um zugkräftige Stücke und prominente Namen für die Besetzung hart und geschickt zu verhandeln. So wurde zum Beispiel die Ehe-Komödie "Freunde zum Essen" von Donald Margulies mit Sona MacDonald und Wilfried Glatzeder eine herbe Enttäuschung - das Publikum schien sich total zu verweigern.

Auch "Misery" mit Jutta Speidel lief nur mühsam schleppend. "Wer zu uns kommt, will den Tageskrampf vergessen und gefesselt werden", sagt Bönisch. "Das Publikum will unterhalten werden und keine Probleme. Die Aufführung soll Glanz haben; das Publikum mag das Gefühl, dass es etwas Besonderes sieht. Es braucht in der Pause etwas zu erzählen, will überlegen, wie es weiter geht."

Ihr Konzept fußt nunmehr auf einem "abwechslungsreichen Spielplan", so Bönisch. Er setzt sich zusammen aus "musikalischen Programmen, spannenden Kriminalstücken, heiteren Klassikern und Boulevard-Komödien". Ihr erklärtes "Steckenpferd" sind die Kinder- und Familienstücke, wie demnächst Konstantin Weckers Musical "Till Eulenspiegel" mit Kika-Star Jörg-Tim Wilhelm in der Titelrolle. Finanziell gehe es "Null auf Null auf": Die ermäßigten Eintrittskarten kosteten nur 6,50 Euro, davon müssten noch Tantiemen, Gema-Gebühren und vieles mehr abgezogen werden.

Das Finanzgleichgewicht könne schnell aus dem Lot kommen: "Eine Produktion, die nicht so gut läuft, braucht zwei sehr gut besuchte, um das Defizit wieder einzuspielen." Um über die Runden zu kommen, seien 65 bis 70 Prozent Auslastung nötig. Und diese, lässt sich ergänzen, bringen Gesichter, die man aus den Medien kennt. Einerseits treibt das Fernsehen das Publikum aus den Boulevardtheatern, andererseits brauchen diese seine Stars.

Erfolgsstücke in letzter Zeit waren die Männer-Striptease-Komödie "Ladies Night" mit Pascal Breuer, die auch während der Fußball-Weltmeisterschaft stets ausverkauft war und 2008 wieder aufgenommen wird, "Die Feuerzangenbowle" inszeniert von Karl Absenger, ebenfalls mit Breuer in der Hauptrolle und ab November wieder zu sehen, "Ein seltsames Paar" mit Heiner Lauterbach und Uwe Ochsenknecht, "Die Kaktusblüte" mit Susanne Uhlen und Georg Preusses Travestie-Show "Mary", die sechs Wochen ausverkauft war und sich deshalb rechnete, weil der Künstler nur von einem Pianisten begleitet wurde.

Kurz vor dem Ruin

Auch das aktuelle Kirche-und-Kiez-Musical "Sister Soul" von und mit Mathias Christian Kosel konnte wegen seines Wiedererkennungseffekts mit dem Hollywood-Film "Sister Act" und den Songs zum Mitsingen zum Kassenschlager werden. Hinreißend komisch war Jochen Busse im "Andalusischen Mirakel", doch ein politisch-satirisches Programm von ihm könnte sie nicht verantworten.

In Frankreich, Großbritannien und in den USA habe gehobene Unterhaltung grundsätzlich einen anderen Stellenwert. Und während in anderen deutschen Großstädten wie Frankfurt, Bonn, Hannover, Stuttgart und Berlin Boulevardbühnen gefördert werden, tue man sich in München offenbar schwer mit dem Unterhaltungsgenre. Im November 1996 musste "Die Kleine Freiheit" in der Maximilianstraße schließen und wird nun als Warenlager des Restaurants Roma zweckentfremdet, im März dieses Jahres die "Komödie am Max II" Konkurs anmelden und könnte bald ganz ausgehöhlt werden, das renovierungsbedürftige "Theater für Kinder" in der Dachauer Straße, das dieses Jahr seinen 40. Geburtstag feiern könnte, steht kurz vor dem Ruin. Dagegen erobere der gehobene Boulevard von Autoren wie Alan Ayckbourn und Yasmina Reza die subventionierten Theater. Rezas "Gott des Gemetzels" etwa, den Dieter Dorn im Januar am Residenztheater inszeniert, würde sich Bönisch gerne leisten können.

Einen fruchtbaren Kontakt hat sie zu den Luisenburg-Festspielen in Wunsiedel, wo Michael Lerchenberg ein tragfähiges Konzept für echtes Volksschauspiel vorgelegt hat. Gerne würde sie sich mehr für authentisches Mundarttheater einsetzen, etwa mit Freilichtspielen auf der Burg Grünwald. In ihren Augen eine optimale Spielstätte durch die historische Kulisse, die zentrale Lage und Anbindung an den MVV. "Sie hat sogar eine überdachte Bühne, auf der bis jetzt zweimal im Jahr Konzerte stattfinden", schwärmt Bönisch, doch "bleibt die Frage, ob man sie kriegt", denn das Gebäude wird vom archäologischen Institut in Anspruch genommen. Ideen hat sie viele entwickelt, aber sie will das Risiko nicht länger alleine tragen: Bönisch setzt große Hoffnungen auf den neuen Kulturreferenten Hans-Georg Küppers, gerade was das Thema städtische Bezuschussung angeht. Nur mit deutlichen Subventionen könne sie überhaupt daran denken, auch die Komödie am Max II zu übernehmen.

Deren Hausbesitzer Friedrich Hendel hat dagegen andere Vorstellungen. Bis dato hat er noch keinem Mietinteressenten den Zuschlag gegeben. Mit Erotikrevuen würde er wohl am besten verdienen, aber "halbseidene Sachen kommen hier nicht rein", sagt er entschieden. Doch auch städtisch geförderten Projekten sieht er sehr misstrauisch entgegen: "Feste Sachen sind immer schlecht", betont er. Die Fortführung eines Theaters, womöglich aus dem Bereich Event- und Dinner-Entertainment, schließt er nicht grundsätzlich aus; ihm persönlich sei sein liebster Kandidat derjenige, "der pünktlich die Miete zahlt". Das war nicht immer so. Im Februar musste die Komödie am Max II GmbH Insolvenz anmelden.

Im "Palast des Lächelns"

In nur zwei Jahren hatte die Leiterin Hanni Sterzik durch Konzeptlosigkeit das traditionsreiche größte Privattheater Münchens heruntergewirtschaftet. Der Rechtsanwalt Wolfgang Ott hatte als vorläufiger Insolvenzverwalter ein Gutachten erstellt, das Insolvenzverfahren wurde schließlich "mangels Masse" vom Amtsgericht München abgewiesen. Bönisch wird nun als die erfolgversprechendste Kandidatin für die neue Leitung der Komödie am Max II gehandelt, aber ganz wohl fühlt sie sich nicht in der Rolle: "Man soll sich nicht verzetteln", sagt sie. Im Herbst habe sie Hendel einmal getroffen, seither sei der Kontakt abgebrochen: "Ich würde nicht nochmals auf ihn zugehen; ich renne ihm nicht hinterher", sagt sie bestimmt.

Auch im "Palast des Lächelns", wie das Deutsche Theater München genannt wird, ist der Direktion das Lachen vergangen. Andrea Friedrichs hatte es bis vor kurzem in deutlicher Interessenkollision mit ihrer eigenen Produktionsfirma geleitet. Werner Steer, der Prokurist und Verwaltungsleiter, führt derzeit kommissarisch zusammen mit der Programmplanerin und Hausjuristin Carmen Bayer das Haus.

Beide hoffen, dass dies auch in der kommenden Spielzeit so bleiben wird. Gerade vom Deutschen Theater sieht sich Bönisch benachteiligt, aber auch von der Muffathalle, beide böten dem Publikum Unterhaltung, seien aber von der Stadt München hoch subventioniert. Die von der Stadt München bestellte Jury sei ihrer Meinung nach zu einseitig, auf Personen fixiert. Darum sehnt sich Bönisch paradoxerweise nach "Ordnung und einer Grundsicherung", damit sie es auf der Bühne so richtig krachen lassen kann.

© SZ vom 23.8.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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