Krise beim TSV 1860 München:Gelebte Anarchie

Wildmoser hinterließ den TSV 1860 München im Chaos, die Aufsichtsräte versagten, mehrmals drohte die Insolvenz. Nun ist die Lage besonders kritisch. An diesem Montag entscheidet sich, ob die Sechziger den Kopf aus der Schlinge ziehen können.

Klaus Ott

Am Montagabend müssen die Herren, die über den TSV 1860 München wachen sollen, wieder einmal nachsitzen. Wie so oft in den vergangenen Wochen, Monaten und Jahren. Der Aufsichtsrat trifft sich in der Geschäftsstelle, um zu erörtern, wie die drohende Pleite des Fußball-Zweitligisten noch abgewendet werden könnte.

Krise beim TSV 1860 München: In einem ist der TSV 1860 München seit Jahren Meister: Er hangelt sich von Krise zu Krise und schafft(e) es jedes Mal, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen und sich zumindest für einige Monate wieder Luft zu verschaffen.

In einem ist der TSV 1860 München seit Jahren Meister: Er hangelt sich von Krise zu Krise und schafft(e) es jedes Mal, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen und sich zumindest für einige Monate wieder Luft zu verschaffen.

(Foto: Robert Haas)

Präsident Dieter Schneider und Geschäftsführer Robert Schäfer verhandeln mit Banken, mit dem Lokalrivalen FC Bayern und einem potenziellen Investor, von denen die nötigen Millionen kommen sollen. Es geht hin und her, mal einen Schritt vor, mal einen zurück. Vielleicht bringt der Montag die Rettung, vielleicht dauert es noch ein paar Tage länger. Klar ist derzeit offen nur eines: Bis Ende März, also bis zum Donnerstag, muss eine Lösung für die Löwen her, wie die Sechziger auch genannt werden.

Dass es erneut so weit kommen konnte, zum dritten Male seit dem Ende der Ära des Löwen-Patriarchen Karl-Heinz Wildmoser, hat viel mit dessen Nachfolgern als Vereins-Präsidenten und dem Aufsichtsrat zu tun. Immer wieder sind die Politiker, Anwälte und Manager, die den Traditionsklub kontrollieren sollen, überrascht über die Misswirtschaft bei den Sechzigern. "Oh je, die Kasse ist leer", wird dann entsetzt geklagt.

Es fehlte eigentlich nur noch, dass die Aufseher ganz unschuldig täten und fragten: "Ja mei, wie gibt's denn so was?" Die Antwort: Eine Mischung aus Naivität, Profilierungssucht und Versagen führt seit Jahren dazu, dass die bisherigen Präsidenten und die Aufsichtsräte den Klub und dessen Finanzen nicht in den Griff bekamen, dass einige Geschäftsführer und Direktoren den TSV 1860 herunterwirtschaften konnten. Die Liste der inkompetenten Kontrolleure ist lang.

Rechtzeitig aufgepasst haben die Klub-Wächter im vergangenen Jahrzehnt nur ein einziges Mal. Das war Anfang 2004, als Wildmosers Sohn, Karl-Heinz junior, genannt Heinzi, intern von einem Gespräch mit einem möglichen Geldgeber berichtete. Heinzi war Geschäftsführer der Löwen. Er hatte sich mit Al Saadi Gaddafi getroffen, einem Sohn des libyschen Regimeführers Muammar al-Gaddafi. Heinzi berichtete dem Aufsichtsrat, Gaddafi junior und dessen Geschäftsführer seien an einer "strategischen Beteiligung" interessiert. Der Diktatoren-Sohn hatte sich mit den Öl-Millionen zuvor bereits beim italienischen Skandal-Verein Juventus Turin eingekauft.

Ude war öfters nicht da

Die damaligen Kontrolleure der Löwen, unter ihnen die CSU-Ministerin und Strauß-Tochter Monika Hohlmeier, waren entsetzt. Sie beschlossen laut Sitzungsprotokoll, "diese Sache streng vertraulich zu behandeln" und notfalls über die "politischen und öffentlichen Auswirkungen" zu beraten. OB Ude fehlte übrigens bei dieser Sitzung. Er war öfters nicht da. Einen Monat später hatte sich die Idee mit den Gaddafi-Millionen ohnehin erledigt. Die Wildmosers kamen ins Gefängnis, der Junior musste drin bleiben und wurde später wegen des Korruptionsskandals beim Bau der Allianz Arena verurteilt. Der Senior, der unschuldig war, kam gleich wieder frei, trat aber als Präsident des TSV zurück.

Kein Geld, keine Ordnung, keine Perspektive

In der Ära Wildmoser war 1860 sportlich erfolgreich gewesen und nach dem Zwangsabstieg Anfang der achtziger Jahre in die Bayernliga endlich wieder in die Bundesliga zurückgekehrt. Beinahe hätten sich die Löwen sogar für die europäische Champions League qualifiziert, in der Starklubs wie Real Madrid und Barcelona, Manchester United und AC Mailand spielen.

Und natürlich der FC Bayern. Doch der Großgastronom Wildmoser hatte die Löwen wie ein Patriarch geführt und hinterließ einen Verein im Zustand der Anarchie: kein Geld, keine Ordnung, keine Perspektive; mit einer Mannschaft, in der es drunter und drüber ging und die längst zum Abbild des ganzen Klubs geworden war. 1860 stieg aus der Bundesliga ab.

Auf Wildmoser folgte der Fleisch-Händler Karl Auer aus dem Oberland, der sich knapp zwei Jahre lange vergeblich mühte, die Löwen zurück ins Oberhaus zu führen. Zwei Mal waren die Sechziger während seiner Präsidentschaft der Pleite nahe. Das war nicht Auers Schuld. Er hatte ja die neue Arena, die den TSV 1860 finanziell überfordert, von Wildmoser geerbt. Aber der Fleisch-Händler schaffte es nicht, den Klub neu auszurichten und dauerhaft für gesunde Finanzen zu sorgen. Auer versuchte lieber, die Löwen gesund zu beten. "Es gibt keine Krise", sagte der Präsident im März 2006, als schon klar war, dass ziemlich schnell einige Millionen Euro aufgetrieben werden müssen. Kurz darauf trat der gesundheitlich angeschlagene Auer zurück.

Bald darauf waren die Löwen gerettet; durch den Verkauf ihrer Arena-Anteile an den FC Bayern. Als neuer Vereinschef kam Alfred Lehner, früher Chef der Landesbank. Der Pensionär vom Ammersee war nur ein Übergangs-Präsident. Unter seiner Führung gelang es, die Kasse in Ordnung zu bringen. Doch das Chaos blieb. Die Delegierten-Versammlung im Herbst 2006, bei der ein neuer Aufsichtsrat gewählt werden sollte, musste Lehner für beschlussunfähig erklären. Die Einladungen waren zu spät verschickt worden. Pfiffe, Buhrufe folgten, von "Komödiantenstadl" war die Rede. Und das alles vor laufenden TV-Kameras.

Der nächste Präsident, Albrecht von Linde, machte es auch nicht besser. Der Sohn des Sportförderers Werner von Linde, der viel für die Olympischen Sommerspiele 1972 in München getan hatte, verstrickte sich in überflüssige Scharmützel mit dem damaligen Geschäftsführer Stefan Ziffzer. Und das, obwohl der Geschäftsführer die Finanzen im Griff hatte. Im Mai 2008 reichte es Ziffzer. Er beschimpfte Linde öffentlich. "Der Fisch stinkt vom Kopf her. Dieser Präsident ist eine Schande für den Verein." Das konnte sich der Klub nicht bieten lassen, Ziffzer musste gehen. Zwei Wochen später gab auch Linde auf.

Wenn Schneider es nicht schafft, dann wohl niemand mehr

Mitte 2008 musste also wieder ein neuer Präsident her, zum vierten Mal in vier Jahren. Es kam Rainer Beeck, Prokurist bei der Münchner Flughafengesellschaft. Ihm gelang es, die Fehden zwischen den Fanlagern zu beenden. Doch als Beeck vor wenigen Wochen zurücktrat, um für seine Familie und den Flughafen-Job genügend Zeit zu haben, wie er sagte, stand 1860 vor einem Desaster.

Der auf Harmonie bedachte Präsident hatte es in seiner Amtszeit offenbar versäumt, so der Eindruck, die Geschäfte des Klubs streng genug zu kontrollieren. Dazu passt, was Beecks Nachfolger Dieter Schneider schon vor einigen Monaten erklärt hatte. Schneider war im Herbst 2010 Vizepräsident geworden, er fand bei einem ersten, kritischen Blick in die Bücher tiefrote Zahlen vor, und meinte salopp, das hätte jedem auffallen können.

Nun ist es an Schneider, dem fünften Präsidenten nach der Ära Wildmoser, die Löwen zu retten. Der Unternehmer aus dem Dachauer Hinterland ist ein erfahrener Sanierer. Wenn er es nicht schafft, dann wohl niemand mehr.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: